Der spät berufene, wunderbare Romancier David Abbott beschreibt in “Die späte Ernte des Henry Cage“, wie das Leben eines Mannes in Trümmer fällt.

Es hätte auch gut ausgehen können. Seinen Job in der Werbebranche hat Henry Cage, prinzipiengeformt und grundsolide, von den Jüngeren in seiner Firma mit so viel sichtbarem Anstand abgenommen bekommen, dass die Form des schönen Scheins gewahrt blieb. Es hatte also alles seine Ordnung, wie er es gewohnt war und wie er es wohl auch verlangen durfte von seinem Schicksal.

Das finanzielle Auskommen war längst gesichert; Cage hatte alle Schäfchen im Trockenen und Geld genug verdient, er protzt damit nicht neureich herum wie seine Nachbarn, und für den gut situierten Ruhestand gibt es unangenehmere Städte als das gediegene London der gut gepolsterten Klubsessel und der diskreten Vergnügungen des nur leicht abgehobenen Mittelstands. Er ist glücklicher Großvater. Die Chancen für ein spätes Happy End ohne Wenn und Aber standen also gut für Henry Cage. Aber ein einziger Moment der Unaufmerksamkeit reißt sein restliches Dasein in einen Abgrund aus Tragödie, Verlust und Trauer. Sein Enkel stirbt bei einem tragischen Unfall.

So beginnt das Buch mit einer nüchtern geschilderten Katastrophe, die dadurch noch schmerzhafter wird, weil eine Rückblende folgt, die zeigt, was war und erkennen lässt, wie viel mehr am Ende verloren gehen wird.

In Großbritannien ist "The Upright Piano Player" zu einem Überraschungserfolg geworden; die leise ironische Doppeldeutigkeit des Originaltitels, der auf das tröstende Hobby der Hauptfigur ebenso anspielt wie auf seine Lebenshaltung, kann man im verunglückten deutschen Romannamen "Die späte Ernte des Henry Cage" nur noch ahnen. Das ist aber auch schon die größte Schwäche dieses Buchs, das seinen Leser von Anfang an in den Bann schlägt, weil es überzeugend und aufmerksam beobachtend von der anrührenden Sozialisierung eines routinierten Einzelgängers in den Rest seiner Welt erzählt, statt ins seifige Fabulieren abzugleiten.

Der Werbefachmann David Abbott präsentierte seinen Prosa-Erstling mit 73 Jahren. Davor war er lediglich Gebrauchstexter, das allerdings überaus erfolgreich und lukrativ. Doch irgendwann hatte Abbott die Nase voll vom fremdbestimmten Schreiben, nach seinem Rückzuck ins Private kaufte er sich einen Laptop und legte los. Bei einem solchen Prolog denkt man schnell an literarische Spätzünder wie den Anwalt Louis Begley, der auch erst knapp 60 Jahre alt werden musste, bevor er mit "Lügen in Zeiten des Krieges" weltbekannt wurde. Vielleicht müssen manche Autoren erst ein eigenes Leben gelebt, seine Wunden erfahren und durchlitten haben, um so aufrichtig über ein anderes schreiben zu können, wie es Abbott hier, nach jahrzehntelanger Unterdrückung dieser Passion, gelingt.

Seine Stärke ist das elegante Understatement, mit dem er seine Charaktere in dieser Familiengeschichte porträtiert, die sofort präsent und klar vor einem stehen. In der Wahl seiner Worte, in der Kunst des vielsagenden Weglassens geht Abbott mit einfühlsamer Präzision vor, die pragmatisch schildert, was passieren kann, wenn ein straff durchorganisiertes Leben in der Zielgerade auf die schiefe Bahn gerät. Abbotts Tonfall, den die Übersetzung von Peter Torberg gelungen transportiert, ist schnörkellos und, um ein fast erdrückendes Wort zu wagen: altersweise.

David Abbott: "Die späte Ernte des Henry Cage" , dtv, 360 S., 14,90 Euro . Lesung heute, 20 Uhr, im Literaturhaus. Christoph Bantzer liest den deutschen Text, Margarete von Schwarzkopf moderiert.