Jochen Distelmeyer und die Österreicherin Gustav spielen Popmusik im Thalia-Theater

Hamburg. Es ist nicht unbedingt so, dass sich der Homo rockiensis in jeder Umgebung wohlfühlt, im Gegenteil fremdelt er ganz schön arg, wenn er seiner gewohnten Umgebung entrissen wird. Das Thalia-Theater und der Internetradiosender ByteFM wollen demnächst öfter mal zu Popkonzerten in die "erlauchten Hallen der E-Kultur" (Jochen Distelmeyer) laden. Bei der Premiere spielten der ehemalige Chef der Hamburger Band Blumfeld und die österreichische Sängerin Gustav auf: Sie mussten dem Publikum die eine oder andere Anleitung geben.

Nachdem mittelalte Männer und mitteljunge Frauen ihre Rotweingläser in die Parkettreihen balanciert hatten, nachdem das Schellen der Theaterklingel den Beginn der Vorstellung signalisiert hatte, pluckerten auch schon die digitalen Soundflächen des Wiener Support-Acts los. Dann stand Gustav auf der Bühne, der eine Frau ist, aber eindeutig einen Männernamen trägt. Weil erst mal nix passierte, forderte die Künstlerin ein wenig indigniert das ein, was Popkünstler erwarten, wenn sie auf die Bühne gehen: "Applaus! Jetzt!" Und anschließend wies sie die Techniker an, das Licht zu dimmen. Ist halt alles anders beim Theater.

Der etwas überdrehte, viel mit Samples arbeitende Elektro-Pop Eva Jantschitschs, wie Gustav mit bürgerlichem Namen heißt, wurde vom freundlichen Auditorium sitzend goutiert. Weil der Mensch selbstverständlich ein Herdentier ist, traute sich auch bei Distelmeyer zunächst niemand, aus den Tiefen der Sitze aufzutauchen. Das mag noch adäquater Ausdruck körperlichen Befindens sein, wenn vorne ein stolzer Dichter an der Akustikklampfe seine introspektiven Texte singt.

Spätestens dann aber, als der Vorhang aufging und hinter Distelmeyer sein Rockband-Outfit sichtbar wurde, als E-Gitarren-Schockwellen durch das ehrwürdige Theater liefen, konnte die Chose nicht so weitergehen. "Das ist immer noch ein Rockkonzert", rief Distelmeyer in die unbewegliche Zuschauermenge. Dann spielte er "Ich (wie es wirklich war)": Alle stehen.

Die vor wenigen Jahren neu formierte Band pflügte durch ein Distelmeyer-Best-of: "Graue Wolken", "Pro Familia", "Eintragung ins Nichts", "Hinter der Musik". "Tausend Tränen tief" kommt vom Band, Jochen Distelmeyer tanzt, nun ja, lasziv. Gesessen wird nicht mehr.