Osama Bin Laden nutzte die Mechanismen der bildersüchtigen Gesellschaft virtuos. Mit der Macht der Bilder verbreitete er Angst und Schrecken.

Hamburg. Die Amerikaner hatten es eilig: Kaum war Osama Bin Laden von US-Elitesoldaten aufgespürt und getötet worden, wurde er bereits auf hoher See beigesetzt. Man kann die Eile mit der islamischen Tradition erklären, nach der Tote innerhalb von 24 Stunden bestattet werden müssen. Da aber kein Land auch nur die sterblichen Überreste des Terrorfürsten aufnehmen wollte, musste man seinen Leichnam dem Meer übergeben.

Mag sein, dass es so gewesen ist. Allerdings ist eine Seebestattung auch der perfekte Weg, um eine Leiche rückstandslos zu entsorgen. Nichts erinnert mehr an sie, kein Grab, keine Gebeine, keine Asche - einfach nichts. Im Falle der Beisetzung von Bin Laden ist dieser Aspekt wohl nicht ganz unwichtig. Von ihm bleibt nichts, was sich auch nur ansatzweise für eine mediale Inszenierung eignet. Denn die Klaviatur der Medien wusste dieser Terrorist zu bedienen wie kaum ein anderer. Noch als Phantom, das er die vergangenen knapp zehn Jahre gezwungenermaßen war, konnte er mit der gezielten Platzierung von Videos, Fotos und Tonbändern die westliche Welt in Angst und Schrecken versetzen.

Vor dem 11. September 2001 gab Bin Laden in seinem afghanischen Exil Pressekonferenzen und empfing auch sonst gern Journalisten. Von ihm existiert jede Menge Bildmaterial. Zu sehen ist ein gut aussehender bärtiger Mann in den besten Jahren. Auch dank seiner ebenmäßigen Gesichtszüge sieht er aus, wie man sich einen in die Jahre gekommenen Jesus vorstellt.

Dieser Eindruck wird jedoch kontrastiert durch Elemente, die so gar nicht in das Bild eines friedfertigen Messias passen. Gern ließ sich Bin Laden mit Waffen ablichten. Mal wiegt er eine Kalaschnikow im Schoß, dann hält er sie sogar im Anschlag. Er hatte natürlich auch nichts dagegen, wenn man ihn als Herrenreiter hoch zu Ross fotografierte. Es kann überhaupt gar keinen Zweifel daran geben, dass Bin Laden um die ästhetische Wirkung dieser Bilder wusste. Er bediente ganz bewusst die bildersüchtige Medienmaschinerie der von ihm verachteten westlichen Welt.

Das gilt in besonderem Maße für die Bilder, durch die der Terrorist im Westen zur Verkörperung des Bösen schlechthin wurde. Es sind die Bilder der kollabierenden Türme des New Yorker World Trade Centers. Die Twin Towers waren Ikonen des westlichen Lebensstils. Sie standen für den Triumph des Kapitalismus. Diese Türme einstürzen zu sehen, mit ihrem Einsturz tausendfach Tod und milliardenfach Schrecken zu verbreiten, muss für einen, der all das hasst, für was das World Trade Center stand, die ultimative Befriedigung sein.

Die Bilder der kollabierenden Türme sind nun selbst Ikonen. Sie stehen für die Verletzlichkeit unserer Zivilisation, ihrer emotionalen Kraft kann sich niemand entziehen. Es sind absolute Bilder. Dies hat der 2007 gestorbene Komponist Karlheinz Stockhausen wohl gemeint, als er kurz nach den Anschlägen sagte, sie seien "das größte Kunstwerk, was es je gegeben hat". Mit dieser durchaus missverständlichen Äußerung wollte Stockhausen den Terror nicht rechtfertigen. Es ging ihm allein um die Wirkung der von den Terroristen produzierten Bilder.

Dass ein Islamist wie Bin Laden derart virtuos die Medien bediente, versteht sich nicht von selbst. Der Islam ist eine eher bilderlose Religion. Vom Propheten Mohammed dürfen Muslime sich kein Bildnis machen. Ihr größtes Heiligtum, die quadratische Kaaba in Mekka, ist ein vergleichsweise abstraktes Gotteshaus.

Bin Ladens Gastgeber, die afghanischen Taliban, hatten für Kunst und Medien keinerlei Sinn. Sie scheuten bekanntlich Anfang 2001 nicht einmal davor zurück, die aus dem sechsten Jahrhundert stammenden Buddhastatuen von Bamian zu zerstören. Wenig Verständnis brachten sie auch für die Pressekonferenzen ihres Gastes auf. Im Gegensatz zu den Taliban war der Terroristenführer aber eben kein islamischer Hinterwäldler. Er stammte aus einer wohlhabenden saudischen Familie, die mit westlichem Lebensstil vertraut war. Der junge Bin Laden besuchte in Dschidda eine weltlich orientierte Schule. Er hatte Lehrer, die aus dem Westen kamen. Als Kind soll er gern "Fury" und "Bonanza" gesehen haben.

Bin Laden wusste um die Bedeutung von Bildern in der westlichen Mediengesellschaft. Und er wusste, wie wichtig es ist, in dieser Gesellschaft die Hoheit über die eigenen Bilder zu behalten. Fotos des toten Bin Laden wären wohl die ersten, auf die er keinen Einfluss gehabt hätte. Wohl auch deshalb veröffentlichten gestern auch seriöse Medien Bilder des toten Terroristen, die sich aber als Fälschungen erwiesen.

Nun liegt der tote Bin Laden irgendwo auf dem Grund des Meeres. Die furchtbarsten und zugleich seltsam faszinierendsten Bilder, die der Auftraggeber der Anschläge vom 11. September 2001 zu verantworten hat, haben sich aber längst nicht erledigt. Ganz im Gegenteil: Nur wenige Stunden nach der Bekanntgabe des Todes von Bin Laden waren die Bilder der einstürzenden Bilder des World Trade Centers wieder auf allen Kanälen zu sehen.