Die zweite Ausgabe des nach gut zwei Wochen zu Ende gegangenen Live Art Festivals auf Kampnagel überzeugte - und fand mehr Publikum.

Hamburg. Der Körper angetrieben vom Atemrhythmus. Die "Bewegungsmaschine" Mensch ist gefangen in den Wiederholungsschlaufen von Liegen, Sitzen, Gehen oder Stehen. Wie oft am Tag streichen sich Frauen unbewusst durchs Haar? Nur eine unter anderen typischen Gesten wandelt die belgische Choreografin Anne Teresa De Keersmaeker hundertfach in "Rosas danst Rosas" ab. Ihr Signaturstück für vier fabelhafte Marathon-Tänzerinnen bescherte dem Live Art Festival auf Kampnagel zum Abschluss noch einen vom Publikum bejubelten Höhepunkt.

Das 1983 zum treibenden Puls von Thierry de Meys minimalistischer Komposition entstandene Stück wirkt heute nach wie vor aktuell und radikal: durch seine Präzision, die unerbittliche Redundanz in der Bewegungsmotorik und die mathematisch ausgeklügelte Struktur der Raumwege. Zu Keersmaekers dunklem, mechanistischen Körperbild vom in Alltagsroutine eingespannten Menschen entwarf Chrystal Pite in "Dark Matters" ein eher poetisches Parallelstück. Am Beginn des Festivals zeigte die Frankokanadierin und frühere Forsythe-Tänzerin ebenso technisch fulminant und sozialkritisch den Menschen als gesteuerte Marionette zappelnd in den Fäden seines selbst geschaffenen Systems. Ivana Müller führte dagegen in ihrer comicartigen Performance "Working Titles" - fast ohne Musik, mit nur im Schriftbild sichtbaren Dialogen - dem Zuschauer vor, wie er sich in seiner Erwartung von den Spielern auf der Bühne gängeln lässt.

Körperbilder waren das Hauptthema in den Performances, die den oft teilnehmenden Zuschauer aktiv forderten. Anne Kersting und Jochen Roller hatten die zweite Ausgabe des durch EU-Gelder geförderten, im Verbund mit anderen Kunstzentren organisierten Festivals kuratiert. Es wurde deutlich besser vom Publikum angenommen als im Vorjahr, gewann bereits durch die Installationen von William Forsythe und der Tanzinitiative Hamburg eine einladend inspirierende Atmosphäre.

Das Tänzerpaar Ulrike Bodammer und Frank Willens gaben in Isa Melsheimers Haus-Installation "Gimme Shelter" ein harmonisches Kontrastbild, lebten eine in sich ruhende Familienwelt vor. Darin das zweijährige Söhnchen Elijas, das sich des Lebens, des Körpers, des Bewegens und Spielens erfreute. Ein schöner, wenn auch utopisch anmutender Trost in einer Welt der häufig bewusst blenderisch posierenden, medial gegängelten und ihrer Selbstbestimmung beraubten Körper.

Zum Ende des auch für ihn erfreulich positiv verlaufenen Festivals verabschiedet sich Tanzdramaturg Jochen Roller aus der Programmarbeit für Kampnagel. Der Choreograf und Tänzer geht zurück nach Berlin, will sich wieder der eigenen Kunst widmen und neue Performances entwickeln. Sicherlich wird Roller damit auch Kampnagel Stippvisiten abstatten - und geht als innovativer, origineller Künstler Hamburg nicht ganz verloren.