Der Perlenfischer Rufus Wainwright hat seine erste Oper und einen Liederzyklus geschrieben. Am 31. Mai gastiert er auf Kampnagel.

Hamburg. Allen, die Rufus Wainwright bislang schon nicht ausstehen konnten, wird es jetzt noch leichter damit gemacht. Denn wer mit Mitte 30 eine zartbittere große Oper mit französischen Texten und anschließend einen Liederzyklus für Stimme, Flügel und meterlange Schleppe als Teil einer Bühnen-Video-Performance schreibt, liefert nicht nur steile, sondern geradezu senkrechte Vorlagen für Häme, Hohn und Spott.

Doch andererseits: Wer außer dem schillernden kanadischen Pop-Perlentaucher hätte sich getraut, in Dinnerjacket und Netzstrümpfen zu High Heels eine 1961er-Show von Judy Garland nachzusingen? Wer außer dem buntesten und schwulsten Pop-Paradiesvogel seit Elton John würde mit so viel fast schon spätrömischer Dekadenz durchkommen, ohne seine divenhafte Operetten-Exzentrik um die Ohren gehauen zu bekommen? Wer außer ihm kann den Berliner Tiergarten so glamourös besingen, als wäre das kein handelsüblicher Stadtpark, sondern ein tropisches Paradies, in dem Sonnenmilch und honigsüße Cocktails fließen?

Für die Europatournee mit dem Liederzyklus "All Days Are Nights: Songs For Lulu", die ihn Ende Mai auch nach Hamburg bringt, hat sich Wainwright seine Outfits von Zaldy Goco entwerfen lassen, der ansonsten Lady Gaga paparazzigerecht verpackt. Kleiner hat's Wainwright nicht, warum auch. Drama, Baby! Applaudiert werden darf bei seinem Solo-Konzert übrigens erst nach der Pause. Das Gesamtkunstwerk soll nicht gestört werden.

"Prima Donna" ist das egozentrische Werk eines hemmungslosen Opern-Liebhabers, der die anderen im Saal galant duldet. Zur Premiere seines Opern-Erstlings, der eigentlich von der New Yorker Met bestellt war, kam der stolze Komponist beim Manchester Festival mit seinem Freund nicht etwa au naturel , was wahrscheinlich schon schillernd genug gewesen wäre. Sondern als Verdi und Puccini verkleidet.

Wie nicht anders zu erwarten, gab es für "Prima Donna" neben verzückten Rezensionen auch eine Menge schriftliche Dresche. Hier hatte jemand gewagt, die Uhr des Genres weit, ganz weit, zurückzudrehen, zu übersüßen Melodien, um die vorsichtige Diabetiker eigentlich weite Bögen machen müssten. In der Handlung von "Prima Donna", die sich um eine alternde Diva dreht, ist ganz viel "Sunset Boulevard" enthalten und eine ordentliche Dosis "Phantom der Oper", verrührt zu einer Hommage für unerreichte, unvergessene Diven. Egal, ob sie sich als Norma materialisierten oder als Judy Garland. Glamour, Tragik, Herzrasen, Melancholie, himmelhoch zu Tode betrübt, das ist und bleibt der Stoff, aus dem Wainwright seine allerliebsten Tagträume webt.

Als Teenager hat Wainwright das Ferienhaus von Jackie Onassis in Martha's Vineyard mit Maria Callas' Version von "Casta Diva" beschallt, erzählt er in der Making-of-Dokumentation der BBC zu "Prima Donna". Schon als Kind hatte er sich an alten Aufnahmen von Beniamino Gigli berauscht und mit Freunden "Tosca" im elterlichen Elternhaus vor der Videokamera nachgespielt. Später wechselte er zu ganz anderen süchtig machenden Substanzen, die Leidenschaft fürs Hemmungslose blieb ihm jedoch erhalten.

Ein Ergebnis davon ist der Mut, sich tatsächlich ohne den Hauch einer entsprechenden Ausbildung das Schreiben einer Oper zuzutrauen. Das zweite: ein Liederzyklus, der Kunstlied mit ganz großem K schreibt. Nach den wunderschön verschrobenen "Want"-Alben und dem noch opulenteren "Release The Stars" zieht sich Wainwright mit seinen "Songs For Lulu" für ein blaues Stündchen ins Dämmerlicht des Dandy-Salons zurück. Das große Orchester, der ganz große Bahnhof, all das soll es diesmal nicht sein, das hat sich Wainwright abgeschminkt.

Sein Flügel muss genügen, um die mitunter offen autobiografischen Balladen zu ummanteln, die oft auch einen Hauch ödipaler Probleme nicht verhehlen können, wenn man weiß, wie eng Wainwrights Beziehung zu seiner Mutter war, der im Januar verstorbenen Folk-Sängerin Kate McGarrigle. Auch die Verlegung der Opern-Premiere hatte mit ihr zu tun. Die Met hätte das Stück vor 2014 nicht auf die Bühne bringen können, und das war Wainwright angesichts des Gesundheitszustands seiner Mutter zu spät gewesen.

Klassisch gemeinte Kunstlieder à la Schubert sind die "Lulu"-Lieder beileibe nicht, doch sie flirten in ihrem Cabaret-Gestus unverhohlen mit deren Eremiten-Haltung. Einige von ihnen stammen aus Robert Wilsons Shakespeare-Show für das Berliner Ensemble, für die Wainwright einige Sonette vertont hat. Und auch das dramatisch-romantische "Prima Donna"-Finale "Les Feux D'Artifice" taucht hier wieder auf.

Keine Party unter der Discokugel diesmal, die große Showtreppe der früheren wilden Jahre kommt nicht zum Einsatz. Rufus Wainwright muss hier ganz allein durch. Fast jedenfalls. "Die Kraft der Melodie", findet er, "wird unterschätzt."

Konzert: Mo 31.5., 20.00, Kampnagel (Bus 172, 173), Jarrestraße 20, Karten ab 41,25 im Vorverkauf; CD: "All Days Are Nights: Songs For Lulu" (Decca), DVD "Prima Donna - The Story Of An Opera" (Decca)