90er-Jahre-Eurodance gibt es beinahe nicht mehr - Der erfolgreichste Schweizer Export DJ Bobo hat überlebt und spielt am Sonntag in Hamburg.

O2 World. Hätte man eine Truhe, vollgepackt mit Sachen der 90er, eine Art Schatzkiste der Alltagsgegenstände, der Song "Somebody Dance With Me" wäre dabei. Eine glorreiche Tanznummer mit simpler Melodielinie und einem rappenden Vortänzer, der mit seinen Armen Yoga-Bewegungen vorführte, als wäre er auf Speed. Dazu tanzte eine emphatisch barmende Sängerin, die anscheinend niemanden zum Tanzen hatte. Der Mann mit dem Bewegungstalent ist DJ Bobo , Ikone des Eurodance, der größte Schweizer Popstar, vor allem aber: ein Star aus den 90ern.

Und dass der nun gerade in eine "Schatzkiste" gehörte, würden alle, die von sich behaupten, geschmacksicher zu sein, verneinen. Für die gehörte DJ Bobo in die Schämkiste. "Somebody Dance With Me" ist oft Kirmesmusik geschimpft worden, und DJ Bobo war alles andere als ein ernst zu nehmender Künstler. Aber was heißt war - Künstler ist René Baumann immer noch, und zwar erfolgreich. Spott ist kaum angebracht: Der gute Mann hat immerhin 14 Millionen Platten verkauft.

Zurzeit ist der 42-Jährige auf Tournee, die "Fantasy-Tour" ist gut besucht. In Dresden spielte DJ Bobo vor 10 000 Fans, in Hamburg werden es morgen mindestens 7000 sein. Wer den Musiker dieser Tage anruft ("Hallo, hier ist der Bobo"), erlebt einen gut gelaunten Familienvater (mit Frau und Tochter lebt er im Kanton Luzern), der lässig sagen kann: "Es geht darum, den längeren Atem zu haben." Eben den hat Baumann gehabt, weshalb die Schmähkritik in den Feuilletons kaum noch stattfindet. "Vielleicht", sagt er, "nötigt es manchem Respekt ab, dass wir so lange durchgehalten haben, dass es uns immer noch gibt." Feuilletonfähig sei Eurodance aber nie gewesen, "diese Art von Musik hatte nie eine Lobby".

Ist aber eine (verblichene) Zeitgeist-Erscheinung, die zum kulturellen Gedächtnis der Menschheit gehört. Snap (1990: "The Power") eröffneten das Jahrzehnt des unendlichen Spaßes, in dem das Partyvolk auf der Love Parade ravte und zu Culture Beat und Dr. Alban in der Dorfdisse herumhüpfte. (Nach "Mr. Vain" wurde übrigens stets gerne "Smells Like Teen Spirit" gespielt, Zeiten der Unschuld!). Die Party endete erst 1999. In der Schweiz, freilich, hatte man den Schuss schon vorher gehört. "Wir spürten schon 1996, dass die Welle bald abebbt", erinnert sich Baumann. Weshalb die Europop-Erfolgsmischung der 90er - kam man an der Kombination Rapper/Sängerin eigentlich vorbei? -, auf den Prüfstand gestellt wurde. Man wusste, sagt Baumann, dass die Erwachsenen erreicht werden müssen, will man weiter im Geschäft bleiben. Was komisch klingt: War Eurodance wirklich Kindermusik, absichtlich? Nein, es ging darum, auch für die 30-Jährigen interessant zu sein. Das hat DJ Bobo geschafft, wer heute auf seine Konzerte geht, trifft 30- bis 50-Jährige. Fans der ersten Stunde und im Laufe der Jahre dazugewonnene. "Wir waren damals überrascht, dass Eurodance überhaupt so lange ein Thema war."

Er ist ein reflektierter Gesprächspartner, keine Frage. Seine erste Karriere als Hitmacher erscheint ihm in der Retrospektive als rosarote Phase, "in den 90ern war alles unbeschwert, wir waren frei; das kann aber auch daran liegen, dass wir einfach jünger waren".

Geändert hat DJ Bobo seine Kompositionen vor vielen Jahren schon : Seitdem singt er mehr, als dass er rappt. Aber wie lange kann man eigentlich in seltsamen Klamotten auf der Bühne stehen, ohne dabei seine Würde zu verlieren? "Vielleicht, bis ich 50 bin", schätzt er. Manchmal schaut er sich TV-Auftritte noch einmal an. Dann sieht er sie gut, die Bewegungen des Showprofis, der seit 20 Jahren im Geschäft ist. Er sieht, dass er's noch kann. "Körperlich und geistig bin ich in Form", sagt DJ Bobo. Er ist neben Scooter der einzige Ausläufer der Eurodance-Welle, "wir haben überlebt".

DJ Bobo: Fantasy-Tour Sonntag, 23. Mai, 19 Uhr, O2 World (S Stellingen, Bus 380), Sylvesterallee 10. Tickets ab 45, für Kinder ab 22,50 Euro