Der Schriftsteller liest an der Universität aus seinem neuen Buch “Vatermord“

Hamburg. Im Vortragssaal der Staats- und Universitätsbibliothek steht ein Tisch mit Büchern und Mappen für die Pressevertreter. Das ist nicht Usus bei Lesungen, dort werden die Werke in der Regel nur von lokalen Buchhändlern ans Publikum veräußert. Aber der Herr in Sakko und Turnschuhen, der gerade in ein paar der Bücher sein Autogramm setzt (nur etwa 35 Zuhörer waren da), ist wohl für Journalisten besonders interessant. Es ist Tilman Jens, "Vatermörder" und Spross des Geisteswissenschaftlers Walter Jens. 2009 war der jüngere Jens Angriffen ausgesetzt, sie spielten sich in den Feuilletons ab, in diese zielt auch das eilig nachgelegte zweite Buch "Vatermord. Wider einen Generalverdacht".

Und das ist das Problem, denn wer in der Jens-Debatte schon mitunter so etwas wie das inzestuöse Kabbeln und sprachverliebte Bekriegen der Feuilletonisten vermutet hatte, wurde bei der Präsentation des Nachfolgers von "Demenz" in seiner Ansicht bestärkt. In "Vatermord" versucht Jens, sich gegen seine Kritiker, die ihn der ungeheuerlichen ödipalen Tat bezichtigten, zur Wehr zu setzen, und nimmt Zuflucht in der klassischen Literatur, wo es von "echten" Vatermördern wimmelt. Jens erzählt von Menschen wie Niklas Frank, dem Sohn des Nazimörders und Generalgouverneurs in Polen, Hans Frank ("Im Westen liegt Frankreich, im Osten wird der Frank reich"), der seinem Vater Hasstiraden widmete. Das alles, um eine größtmögliche Distanz zum eigenen Fall herzustellen.

Tilman Jens zur Seite sprangen bei der Buchpräsentation Publizist Hellmuth Karasek und Autor Paul Kersten. Beide verteidigten in beredten Worten den "Delinquenten", der die Demenz-Erkrankung seines Vaters in schmerzlichen Worten beschrieben und als Folge der Aufdeckung von dessen NS-Vergangenheit interpretiert hatte.

Eine Debatte, ob es richtig ist, das Leiden eines Menschen öffentlich zu machen, hätte er verstanden, "aber nicht den Vorwurf des Vatermords, der tat weh", sagte Jens. Und dann las er seine Verteidigungsschrift, indem er auf den Tiefpunkt seines Lebens, den Uwe-Johnson-Skandal 1984 (Jens hatte Briefe des toten Schriftstellers geklaut), einging - eine Art Seelenstriptease. Wer ihm vorher schon Egozentrik und einen Vaterkomplex vorwarf, wird dies jetzt wieder tun. Seinen Vater hat Jens nicht "umgebracht", nein, des neuen Buchs hätte es trotzdem nicht bedurft.