Am Sonntag spielt John Malkovich im Schauspielhaus Jack Unterweger - in Brüssel hat er geprobt

Brüssel. Er tigert am Bühnenrand hin und her wie ein Raubtier, das Beute wittert. Der Zuschauerraum ist leer, hinten auf der Bühne spielt sich die Wiener Akademie ein. Das Originalklang-Orchester begleitet die beiden Sängerinnen Bernarda Bobro und Aleksandra Zamojska mit Arien von Vivaldi über Mozart bis Carl Maria von Weber. Vorn memoriert John Malkovich - rotes Hemd, hellgraues Jackett, Jeans mit breitem Umschlag, Turnschuhe - seinen englischen Text, manchmal dirigiert er unbewusst mit. "Ich versuche, den Kopf zu leeren, damit ich offen bin für das, was heute Abend passiert", sagt er. Laut Programm wird Malkovich an diesem Abend morden. Hier. Auf der Bühne im Palais des Beaux Arts in Brüssel. Die Sängerin, die es treffen wird, begrüßt er mit einem freundlichen Kuss. Auf dem Weg zurück in seine Garderobe pfeift Malkovich vergnügt vor sich hin.

"The Infernal Comedy - Confessions Of A Serial Killer" heißt das genresprengende Stück, das 2008 auf einer kleinen High-School-Bühne in Kalifornien aus der Taufe gehoben wurde. Jetzt ist es auf Tour: Paris, Istanbul, Hamburg, Bilbao, Toronto, St. Petersburg.

Selbst bei der kurzen Probe spürt man, wie Frauenherzen in Malkovichs Nähe schneller schlagen. Backstage hört man Seufzer wie "Wahnsinnstyp", "...dieser Blick" und "einfach geil". Seine Rollen in "Gefährliche Liebschaften", "In The Line of Fire", "Being John Malkovich", "Burn After Reading" und 60 anderen Filmen haben ihn zum Weltstar gemacht, der hier in Brüssel wie ein Staatsgast in der Residenz des US-Botschafters übernachtet. Doch wenn er Theater spielt, fügt sich Malkovich ganz ohne Allüren ins Ensemble ein. "Für mich ist das wie atmen. Ich habe ja viele Jahre nur Theater gespielt, manchmal 14 Vorstellungen die Woche."

45 Minuten vor Auftritt. Andere Schauspieler können da vor Lampenfieber kaum denken. Malkovich plaudert in seiner Garderobe seelenruhig über sein Hemd, dessen Rot sich aus der Nähe betrachtet als irritierendes Muster psychedelischer Wellenlinien erweist. "Aus meinem Modelabel 'Technobohemian'." Eine sehr lässige Herrenmode, qualitätsvoll, teuer. Er entwirft, sucht selbst Stoffe aus - es macht ihm Spaß.

Seine überwältigende physische Präsenz wird im Gespräch noch verstärkt durch den Kontrast zu seiner überaus freundlichen, hohen, bedächtigen und wattesanften Stimme. An diesem Abend wird er Jack Unterweger spielen, den legendären Frauenmörder aus Wien - und damit wieder einen dieser Charaktere, die ohne jeden humanen Impuls grausam sind. Unterweger hat gemordet, wurde im Gefängnis zum Paradebeispiel scheinbar gelungener Resozialisierung; er entwickelte sich zum gefeierten Schriftsteller und Journalisten. Eine breite Bewegung österreichischer Intellektueller bewirkte seine Freilassung. Danach mordete er weiter - Prostituierte in Wien, Prag und Los Angeles, und begleitete gleichzeitig die Polizei bei den Ermittlungen. Am Ende bekam er erneut lebenslänglich; er erhängte sich nach dem Urteil.

Malkovich streitet vehement ab, bevorzugt solche Psychopathen-Rollen auszuwählen - obwohl er damit das Publikum natürlich doppelt packt: Die Zuschauer hassen den Mörder, wollen aber wissen, wie er tickt. Er frage sich, ob die Rolle eine gute Vorlage für einen Bühnenabend ist. "Dann wird jede Aufführung etwas Lebendiges. Wenn das Stück mich nicht öffnet, kann jeder hier im Publikum dasselbe tun, was ich zustande bringe. Wenn es mich öffnet, ist es etwas ganz anderes."

Seine Schauspiel-Philosophie stammt aus seiner Zeit beim "Steppenwolf"-Theater in Chicago, Ende der 70er-Jahre. Was einfach klingt, ist verdammt schwer: Er horcht so lange hinein in Motive, Ängste, Hoffnungen, Erwartungen und Ziele seiner Figuren, bis er findet, was er "große Klarheit" nennt. "Ich weiß dann, was meine Figur antreibt. Aber nicht, was mir, wenn ich sie spiele, widerfahren wird, was ich als nächstes tun werde. Ich hab nicht die geringste Idee - und das Publikum auch nicht. Das hält die Leute gespannt."

Mit dieser unkalkulierbaren Expressivität hat er von Chicago aus den Broadway in New York und die Filmleinwände erobert. An diesem Abend wird er unter anderem eine Textzeile in einem explosiven Ausbruch brüllen, er wird den Mund einer eben gemeuchelten Sängerin so bewegen, als spräche sie noch - es wirkt schockierend gefühllos. Er bekommt aber auch jede Menge Lacher. Und als er von der Bühne ins Publikum hinuntergeht, wagen die Frauen im überwiegend jungen Publikum dort, wo der Scheinwerfer hinleuchtet, kaum noch zu atmen.

"Frauen", sagt Malkovich, "sind oft - ich will nicht sagen: schicksalhaft, aber ein bisschen zu sehr - angezogen von dem, was sie als gefährlich wahrnehmen. Ich denke, es ist vor allem das. Gleichzeitig reizt sie eine gewisse Sensibilität, eine Verletzlichkeit. Am besten ist beides zusammen."

Diese Art Attraktivität ist unabhängig vom Alter. Bei Malkovich hat sich das Haar vom früheren Blond in schütteres Weiß so weit verabschiedet wie von der Mitte des Schädels, aber es bleibt irgendwie wild. 2011 wird er wieder einen Womanizer spielen, einen weniger tödlichen, dafür deutlich älteren. Wieder Theater, wieder mit Musik - von Mozart. "Infernal Comedy"-Autor Michael Sturminger und Wiener-Akademie-Dirigent Martin Haselböck arbeiten an den "GiacomoVariations" über den alternden Casanova.

"Ein Teil jedes Schauspielers bleibt immer Kind. Rollen, die mich mit 22 gepackt haben, würden mich auch jetzt noch packen. Wenn man älter wird, kommen Grenzen dazu in dem, was man tun kann. Das ist anders als mit 30." Auch neue Dimensionen des Verstehens? "Nein. Die Hauptsache, die das Alter zeigt, ist die Nähe zum Tod. Aber ich verstehe wohl nicht immer genau, was das bedeutet."

The Infernal Comedy mit John Malkovich, Schauspielhaus, So 20.00 Uhr (ausverkauft) und 23.00 Uhr (wenige Restkarten). CD und DVD des Stücks im Theater erhältlich.