Das Live Art Festival startete mit Installation und Tanztheater

Hamburg. Die Besucher staunen. Auf dem Riesenbildschirm im Kampnagel-Foyer sehen sie, wie sich ihre Körper auflösen: Der Kopf zieht den Leib als Wellenlinie hinterher. Frauen geraten sofort spielerisch in Bewegung. Männer stehen meistens wie angewurzelt und starren auf das visuelle Wunderwerk. Der Choreograf William Forsythe lässt in seiner Video-Installation "City of Abstracts" beim Live Art Festival die Spuren der Körper im Raum zeitverzögert sichtbar werden. Im faszinierenden Spiel der Bilder wird sich der Betrachter seines Körpers bewusst und sieht seinen Schatten wie eine flatternde Schleppe hinter sich her schlängeln.

Auch in Crystal Pites Tanztheater "Dark Matters" spielen Schattenfiguren eine zentrale Rolle. Im ersten Teil des Stücks führen sie eine Stabpuppe, die sich gegen ihren Schöpfer in einem Tanz-Duell auflehnt und ihn schließlich mit einer Schere ersticht. Danach kämpfen die schwarz verhüllten Tänzer gegeneinander, reißen die Dekoration ein: als ob sie sich - wie einst die Götter Griechenlands - die Herrschaft über die von ihnen am Lebensfaden geführten Menschen streitig machen wollten.

Nach der Pause liegt nur mehr einer der Schatten auf dem Boden, beginnt jedoch die fünf Tänzer zu beeinflussen und durch Scheinwerferlichter zu lenken. Ihre Körper entgleiten ihnen analog zum schwerlosen Gliedermann. Wie er beherrschen sie ihre Körper nicht, die Koordination wirkt gestört oder gelenkt. Zur Gruppe verflochten, stützen und fangen sich die sechs wendigen Tänzer auf, wenden sich aber auch gegeneinander. Sie wirken in den Duetten und Soli zum rhythmischen Knacken und Krachen von Owen Beltons Sound-Track oft wie Marionetten oder zuckende Roboter. Dann wieder ähnelt der Fluss ihrer Bewegungen jenen der Körper auf der Leinwand in der Foyer-Installation von Forsythe.

Ironische Schlusspointe des perfekten, märchenhaften Tanztheaters: Der Schatten entpuppt sich als Choreografin Crystal Piste. Sie ist die eigentliche Lenkerin der Tänzer durch ihr raffiniert mit Bild- und Bewegungs-Motiven verwobenes, mit Täuschungen und unerwarteten Wendungen spielendes Stück. "Dark Matters" handelt von der flüchtigen Materie Mensch und seinem zerbrechlichen Körper im Zyklus von Leben und Tod, über den der Mensch vergebens Macht zu gewinnen sucht. "EveryBody AnyBody NoBody" gaben die Kuratoren Anne Kersting und Jochen Roller als Festival-Leitfaden vor - und präsentierten zum Start die Faszination von visuellem Körperzauber und virtuosen Tänzerkörpern.

Live Art Festival : Sa 15.5., Wondermart 16-22 Uhr; Gimme Shelter 18-22 Uhr; Abwärtsbunker 19.30 Uhr; What They Are Instead Of 21 Uhr; Performance Bar ab 22 Uhr, Kampnagelfabrik, Karten unter T 27 09 49 49, www.kampnagel.de