Hélène Bouchet und Thiago Bordin, Erste Solisten in John Neumeiers Compagnie, sind für den Oscar der Tanzwelt nominiert.

Hamburg. Die Visa für Moskau sind ausgestellt, tänzerische Vorbereitungen für den Festakt am 18. Mai im Bolschoitheater getroffen. Doch die Freude, für den renommiertesten Tanzpreis der Welt, den Prix Benois de la Danse, nominiert zu sein, hält sich bei Hélène Bouchet, 29, und Thiago Bordin, 27, in erstaunlichen Grenzen.

Sie geht unter im täglichen Ballettbetrieb: Training, Proben, Vorstellungen, Wiederaufnahmenproben, Anproben, Maske. Das Leben der beiden Tänzer geht weiter für die beiden Ersten Solisten in John Neumeiers Hamburg Ballett.

Selbst wenn der Prix Benois de la Danse als Oscar der Tanzwelt gilt, ist er bei Weitem nicht so medienwirksam wie der Filmpreis. Es ist fabelhaft, ihn zu bekommen, aber kein Grund, abzuheben. Silvia Azzoni, ebenfalls Erste Solistin in Neumeiers Compagnie, hat den Prix Benois vor zwei Jahren für ihre Interpretation von Neumeiers Ballett "Die kleine Meerjungfrau" erhalten und sich seither keinen Deut verändert.

Das dürfte auch für Hélène Bouchet gelten, die Südfranzösin mit dem feinen Gesicht und den langen Beinen, sollte sie ausgezeichnet werden. Sie ist für ihre Darstellung der Eurydike in Neumeiers "Orpheus"-Ballett nominiert. Und es gilt für den frischen, wuschelköpfigen Brasilianer Thiago Bordin, dessen Armand in Neumeiers "Kameliendame" beeindruckte.

Bordin bekräftigt, während er in der Kantine des Ballettzentrums Wokgemüse und Putenschnitzel isst: "Es ist schön, dass wir auf diese Weise internationale Anerkennung erhalten für das, was wir tun und was wir sehr lieben." Als hätten sie sich vorher abgesprochen, ergänzen sie fast unisono: "Ob wir nun den Preis kriegen oder nicht, ist egal. Dabei zu sein zählt und Erfahrungen mit anderen Tänzern auszutauschen. Natürlich sind wir stolz, nominiert zu sein, aber verändern wird sich dadurch nichts."

Das ist keine Schutzbehauptung gegen allzu große Enttäuschung, wenn sie nicht aus der Konkurrenz von jeweils sechs weiteren Tänzern als Beste gekürt werden. Schließlich wissen sie um die Subjektivität von Juroren, um Geschmacksentscheidungen und stilistische Vorlieben.

Eines aber steht fest: Nicht nur in Hamburg gelten sie als Traumpaar, seit sie als Romeo und Julia das Publikum im Sturm eroberten.

Seit zehn Jahren kennen sie sich und haben eine symbiotische Tanzbeziehung entwickelt, die auf absolutem, gegenseitigem Vertrauen basiert. "Die Chemie zwischen uns stimmt. Unsere Körper harmonieren perfekt. Wir wissen instinktiv, was der andere machen wird", schwärmt Bordin von dieser rein beruflichen Liaison - die Bouchet ist mit dem Solisten des Balletts, Johan Stegli, verheiratet.

Beide sind Ausnahmekünstler: Thiago, der Extrovertierte, der mit 16 Jahren aus São Paulo an die Mannheimer Tanzakademie kam und in der Hamburger Compagnie zum Mann reifte, ohne den "kleinen Jungen von einst" je abzulegen. Und Hélène, die Besonnene, die weiß: "Als Anfänger hat man den Entdeckungsdrang von jungen Hunden, die in jeder Ecke schnüffeln, um nichts zu versäumen. Die Erfahrung hat uns ruhiger gemacht." Sie ist es, die Thiago gelegentlich bremst.

Sollte es, trotz aller Harmonie, zu atmosphärischen Störungen kommen, werden die buchstäblich weggelacht: "Wir wollen unseren Beruf, der unsere Passion ist, genießen und Spaß haben. Sonst können wir nicht arbeiten." So einfach ist das.

Derart viel Übereinstimmung war selbst John Neumeier zu viel. Er verordnete den beiden eine partnerschaftliche Zwangspause von einem Jahr, damit sie sich unabhängig voneinander entwickeln konnten. Das ist geglückt. Und jetzt tanzen sie wieder gemeinsam.

Eines aber wissen beide schon jetzt: Sie werden nicht in ihre Heimatländer zurückkehren: "Es war ein Kulturschock, als ich von Brasilien nach Deutschland kam", erinnert sich Thiago Bordin. "Und jetzt ist es umgekehrt. Ich hätte ohnehin wenig Möglichkeiten, dort zu arbeiten, und außerdem ist es saugefährlich."

Auch Hélène Bouchet fühlt sich hierzulande deutlich sicherer. Dass die Deutschen nicht bei Rot über die Straße gehen, ein ausgeprägtes Sicherheitsdenken haben, organisiert sind und Vorsorge fürs Alter treffen, das gefällt ihr.