In Hamburg fanden die Dreharbeiten zu der Dokufiction “Die Kinder von Blankenese“ statt

Hamburg. Stille ist ein kostbares Gut. Das merkt man besonders, wenn Raymond Leys Gesichtszüge entgleisen, für eine Sekunde nur. Dann hat der Fernsehregisseur sich wieder im Griff. Es ist Mittagszeit, wir sind in Baurs Park in Blankenese, und wer glaubt, in Hamburgs pittoreskem Elbvorort sei im Himmel nur Jahrmarkt, der täuscht sich. Es dröhnt alle 45 Sekunden, auf dem Hamburger Airport ist mächtig Betrieb. Dabei hat die Szene 102 von "Die Kinder von Blankenese", die hier heute gedreht wird, ein ziemlich leises Thema. Das gilt für den ganzen Film.

Er erzählt die Geschichte von Überlebenden der Shoah, Kindern, die im Konzentrationslager Bergen-Belsen waren und nun in der Hamburger Warburg-Villa warten, bis sie nach Palästina ausreisen können. Es sind Kinder ohne Heimat und Familie, die sich für kurze Zeit in Hamburg einrichten. Sie erleben dort ihre erste Liebe und die Launen der Pubertät, sie schließen Freundschaft und fühlen doch den Verlust aller Sicherheiten. Und treffen auf Deutsche, deren fortwährender Hass gegen alles Jüdische weiter zu spüren ist. Eine der vielen unerzählten Geschichten der Katastrophe, ein ernstes Sujet - und ein anspruchsvolles Unternehmen im Hinblick auf eine Fernsehproduktion.

Denn die Hauptdarsteller sind fast alle minderjährig. 20 Kinder und Jugendliche aus Berlin und aus Hamburg, und vielleicht hat doch einer von ihnen diese im Grunde absurde Geschichte (in der nach dem millionenfachen Mord an Juden etliche der einst Verfolgten noch im Land ausharren müssen) schon einmal gehört. Denn ganz versunken in der Vergangenheit waren die Schicksale der größtenteils noch Lebenden nicht. Vor viereinhalb Jahren trafen sich die ehemaligen Bewohner der Warburg-Villa in Hamburg. Den Bericht im Abendblatt las damals Raymond Ley. So kam der Filmemacher, der viel für den NDR arbeitet und 2005 den aus dokumentarischen und fiktionalen Szenen bestehenden Film "Die Nacht der großen Flut" drehte, zu seinem neuen Thema.

"Die Kinder von Blankenese" ist wieder Dokufiction, in der Tradition Heinrich Breloers und Horst Königsteins ("Die Manns"), ein Drama, das aus vielen Spielszenen und Interviews mit den wirklichen "Kindern" besteht. Heute sind die alt und leben in New York, London oder Israel.

Diese Interviews, sagt Ley, seien eine extreme Herausforderung gewesen "und emotionale Momente". Ley, Jahrgang 1958, selbst Vater zweier kleiner Kinder, hat diese Interviews geführt, bevor der Dreh der Spielszenen begann, und den Darstellern zur Ansicht überlassen. So konnten die Nachgeborenen sehen und hören, wen sie verkörpern. Die KZ-Szenen seien schwierig gewesen, sagt Ley, zur Unterstützung der jungen Schauspieler sind die Eltern meist am Set, außerdem zwei Pädagoginnen. "Die Kinder brauchen Vertrauenspersonen bei den Dreharbeiten."

Die Wahl der Drehorte folgte den lokalen Möglichkeiten, und so steht die Film-Villa in Kiel. Die echte Warburg-Villa ist schon lange ein Tagungszentrum und unbrauchbar, weil es keinen großen Schlaf- und Essensraum mehr gibt. Die Bergen-Belsen-Szenen wurden auf einem Truppenübungsplatz in Niedersachsen gedreht und manche der Berliner Szenen in Hamburg.

Ausgestrahlt wird der Film, eine Ko-Produktion von NDR und Arte, im Oktober, die in Hamburg gedrehten Szenen (Baurs Park, Finkenwerder, Hagenbeck, Australia-Kai) sind nun im Kasten. Hätte sich die Crew das Wetter aussuchen können, es wäre anders gewesen. Weniger kühl. So bibberten die im 40er-Jahre-Schick auftretenden Schauspieler ein bisschen auf dem sattgrünen Hang in Blankenese, der im Film als Gartenanlage der Villa dient.

Die Kinder kicken und werden dabei von Spaziergängern beobachtet. Die Lehrerin Betty, die das "Heim" in der Warburg-Villa leitet, verscheucht die Gaffer mit einer resoluten Ansage. An diesem Vormittag muss Alice Dwyer, die Betty spielt, ihr kräftiges Organ öfter einsetzen, erst dann ist Regisseur Ley zufrieden. Die beiden jüngsten Darsteller sind Alexander Kalodikis, 8, und Lenny Altaras, 9. Zwei Rabauken, denen die Arbeit Spaß macht, "man weiß ja, dass all das Schlimme jetzt nur noch im Film passiert", sagt Lenny.

Gleich wird weiter gedreht und vielleicht das Gedöns am Himmel weniger. Beim Film muss man auf alle Kleinigkeiten achten. In einer Szene entdecken die Kinder die Elbe. Man fand eine Stelle, an der alles so aussah wie 1945, ohne die futuristisch wirkende Hafenlandschaft. Anderes hat sich verändert, zum Glück.