Max Frisch findet in seinem dritten Tagebuch wunderbare Worte für den Tod, die Arbeit und die Liebe.

Das Tagebuch gilt als der Ort des Authentischen. Hier, so glaubt der Leser, offenbart sich ihm der Schriftsteller als Mensch, hier erhält er Einblick in das sogenannte wahre Leben. Kein Wunder also, dass die Veröffentlichung von Tagebuchaufzeichnungen bedeutender Autoren meist spektakulärer daherkommt als die von Romanen, umweht sie doch eine Aura des Intimen.

Im Falle von Max Frisch und seinen im Frisch-Archiv in Zürich unverhofft aufgetauchten "Entwürfen zu einem dritten Tagebuch" entzündete sich eine Debatte darüber, wie mit dem Manuskript zu verfahren sei: Wegsperren oder öffentlich zugänglich machen? Der Schweizer Germanist Peter von Matt erklärte, es handele sich um eine "Sammlung höchst verdichteter Texte", Texte also von literarischem Rang. Der Schriftsteller Adolf Muschg, wie von Matt ebenfalls Mitglied im Stiftungsrat der Frisch-Stiftung, beschrieb die Aufzeichnungen als "müde", "müde auch des Anspruchs an sich selbst", und legte sein Veto gegen die Publikation ein.

Was hätte der verstorbene Frisch gewollt? Man weiß es nicht. Aber es ist, um es kurz zu machen, ein Glück, dass jene Tagebuch-Entwürfe aus den Jahren 1980 bis 1983 nun, 19 Jahre nach Frischs Tod, im Suhrkamp Verlag erschienen sind. Wer Frisch schätzt, findet auch hier alles versammelt, was ihn als Schriftsteller auszeichnet: seine berühmten Fragen, die den Horizont öffnen ("Hänge ich am Leben? Ich hänge an einer Frau. Ist das genug?"). Sein Ringen um Selbstfindung und Selbsterhaltung - die ewigen großen Frisch-Themen. Die so genauen wie lakonischen Gegenwartsanalysen. Die berühmten Gedankenstriche, die bei anderen schnell aufgesetzt wirken, bei Frisch nur dazu dienen, den vorherigen Gedanken zu unterlaufen und infrage zu stellen. Sich selbst ins Wort zu fallen. Im dritten Tagebuch beschäftigen ihn zudem das Hadern mit dem Alter ("Ich bin alt, ich bin alt"), eine zunehmende Gleichgültigkeit dem Leben gegenüber und eine immer wieder aufblitzende Wut auf die Welt im Allgemeinen und Amerika im Besonderen.

Nun muss man wissen, dass nur wenige Schriftsteller Amerika so geschätzt haben wie Max Frisch. In Manhattan, wir schreiben die Reagan-Jahre, hat er sich ein Loft gekauft ("eine Loft", wie der Schweizer sagt). Er lebt mit der Amerikanerin Alice Carey zusammen, den meisten Lesern noch bekannt als Lynn aus "Montauk", Frischs vielleicht schönste Erzählung aus dem Jahr 1975. Ihr war als Motto der berühmte Anfang der "Essais" von Montaigne vorangestellt: "Dies ist ein aufrichtiges Buch, Leser, es warnt dich schon beim Eintritt ..." Im neuen Buch zeugt schon der Titel von der Aufrichtigkeit des Autors - und wer nach privaten Bekenntnissen sucht, nach detaillierten Gefühlbeschreibungen, wird nicht enttäuscht.

Frisch findet Worte für seinen sterbenden Freund, für den Tod, die Arbeit und die Liebe. Es sind vielschichtige Reflexionen, ein bisschen wehleidig manchmal, scharf in der Analyse wenige Absätze später. Immer größer werde sein Freundeskreis unter den Toten, konstatiert Frisch. Eine "gelassene Panik" ist zu seinem Grundzustand geworden. Die vielleicht berührendsten Passagen sind seinem Traum von einem Haus für die letzten Jahre gewidmet, einem "Lebensabendhaus" mit weißen Holzverkleidungen und Veranda - auch weil man diese Sentimentalität Frisch nicht unbedingt zugetraut hätte.

Die Dinge haben mit den Jahren ihren Stellenwert verloren, nichts ist mehr wirklich wichtig, und alles war so oder so ähnlich schon einmal da gewesen: die Frauen, die Ängste, die Wünsche. In diesem Zustand ist das nachmittägliche Licht nicht weniger bedeutend als die Frau neben ihm im Bett. Frischs zunehmende Hinfälligkeit versetzt ihn in eine Stimmung, die zwischen Resignation und Erleichterung changiert. Erleichterung darüber, nicht mehr zu allem eine Meinung haben und diese kundtun zu müssen ("Was geht mich Israel an?"); ein Sich-Abfinden mit seinem Status als Mann, der seine besten Jahre hinter sich hat.

Unversöhnlicher, bockig wie ein Kind ist er, wenn es um die Schriftstellerei geht. Das Schlimmste, was in seinem Beruf vorstellbar ist, ist ihm passiert: Es gibt nichts mehr zu schreiben, der Ekel vor der Schreibmaschine ist unüberwindbar groß: "Es langweilt mich jeder Satz, den ich geschrieben habe, es hilft auch nicht, dass ich Wörter umtausche in meinem Turm, und das ist es, was ich tagelang mache; ich tausche Wörter gegen Wörter."

Es sind Sätze wie dieser, vom Meister der einfachen Sätze, die es allein wert sind, die "Entwürfe zu einem dritten Tagebuch" zu lesen. Und man möchte, wenn es nicht so sinnlos wäre, Frischs Worten gerne widersprechen, denn eines sind sie nun wirklich nie gewesen: langweilig.

Am 26. Mai um 20 Uhr findet im Literaturhaus ein Max-Frisch-Abend statt. Der Literaturwissenschaftler Peter von Matt unterhält sich mit dem Kritiker Volker Hage ("Spiegel"), Hans-Jörg Frey liest Textauszüge.

Max Frisch (1911-1991): Entwürfe zu einem dritten Tagebuch. Suhrkamp Verlag, Berlin. 215 Seiten, 17,80 Euro