Im ARD-Film “Der andere Junge“ erzählt Volker Einrauch von einer Familienkatastrophe

Wer zufällig reinschaltet, nach etwa einer halben Stunde, wird denken, er sei in einen heiteren Familienfilm geraten, wie sie die Öffentlich-Rechtlichen ja gerne im Programm haben. Mutter stellt Lasagne auf den Tisch, Vater erkundigt sich nach der Mathearbeit. Sohn stochert im Essen, sagt kein Wort, knallt irgendwann die Tür hinter sich zu. Spätestens nun wird klar: So Friede, Freude, Eierkuchen ist das nicht.

Und überhaupt ist die Stimmlage der Mutter ein bisschen zu schrill und ungefähr so angenehm wie eine Gabel, die über den Teller kratzt; der Vater ist ein bisschen zu aufgesetzt gut gelaunt und droht an seinem festgezurrten Krawattenknoten beinahe zu ersticken. Wer von Anfang an mit dabei ist, weiß warum: Robert, der 14-jährige Sohn, hat einen Mord begangen. Und als wäre das nicht schon schlimm genug, handelt es sich bei seinem Opfer ausgerechnet um den Sohn ihrer Doppelkopf-Partner.

Warum? "Er war ein Arschloch, ein blödes Arschloch", schreit Robert, als die 90 Filmminuten von "Der andere Junge" (Regie: Volker Einrauch, Buch: Lothar Kurzawa) fast herum sind - viel mehr gibt es dazu auch nicht zu sagen.

Keine befriedigende Erklärung, kein nachvollziehbarer Tat-Hergang. Das ist fürs deutsche Fernsehen nun fast schon revolutionär, das sich immer so ins Zeug legt, damit der Zuschauer selbst sich nicht anstrengen muss beim Verstehen und Mitempfinden. Hier steht es den ganzen Film über im Raum: ein riesengroßes Fragezeichen. Andrea Sawatzki und Peter Lohmeyer spielen das pädagogisch wertvolle Elternpaar, das bestimmt seinerzeit viele Erziehungsratgeber gelesen hat. Barbara Auer und Christian Berkel sind ein Powerpaar, jung geblieben, unkonventionell, leidenschaftlich, das lernen muss, mit dem Schrecklichen zu leben.

Es ist die Stärke von "Der andere Junge", der Ausgangssituation das Absurde, Unbegreifliche nicht zu nehmen, sondern es hervorzuheben - und so den Schmerz sichtbar zu machen.

Der andere Junge Mi, 12.5. ARD, 20.15 Uhr