Die Bilanz des Beethoven-Zyklus von Christoph von Dohnányi

Hamburg. In einem "normalen" Abo-Konzert wäre es wohl unangenehmer aufgefallen; als Zeichen kollektiver Konzentrations- oder zentraler Führungsschwäche. Beim vierten Beethoven-Konzert in einer Woche jedoch kann schon mal passieren, was den Geigen des NDR-Sinfonieorchesters am Sonntag durchrutschte und von Chefdirigent Christoph von Dohnányi dezent und schnell abgebremst wurde: ein verwackelter Fehlstart in den Schlusssatz der Achten. Im zweiten Anlauf klappte dann alles aber wieder so, wie 1812 in Opus 93 notiert.

Die Kraftanstrengung schlug auf die Kondition durch, das ist bei einem solchen Marathon mit allen neun Sinfonien wohl auch nur schwer zu vermeiden. Nach einem fulminanten Start mit der Ersten, Zweiten und Fünften eine Woche zuvor hatte dieser Zyklus nicht nur seine starken Langstrecken, in denen man angesichts der brillant gezügelten, spielerisch virtuosen Temperamentsausbrüche vergessen konnte, wie oft die meisten dieser Stücke einem schon begegnet sind. Er hatte auch seine schwächelnden Momente. In der Siebten beispielsweise war dem Blech hin und wieder die Dauerbelastung anzuhören. Auch in der "Pastorale" schien, bildlich gesprochen, der Rasen des Naturidylls noch nicht so ganz manierlich auf Bilderbuch-Kante gebracht, wie es zu erwarten gewesen wäre.

Doch was hier und da an Präzision fehlte, machte der unbedingte Wille des 80 Jahre alten Chefdirigenten wett, sich und seinem Stammpublikum mit diesem Zyklus einen Wunsch zu erfüllen - den Wunsch, sich durch das Herzstück von Beethovens Werkkatalog durchzuarbeiten, tief hineinzugraben und nach Erkenntnissen zu schürfen.

Eine grundlegend neue Sichtweise kam dabei nicht ans Licht. Dohnányi wollte ganz offenbar auch keine. Ihm genügt, was überreichlich in den Noten steht. Er wollte Aufrichtigkeit, Überzeugung und Disziplin, die ja reichlich vorhanden sind. Klassische, bleibende Werte. Das Denkmal blieb auf seinem Sockel, wurde allerdings von allen Seiten penibel und ohne den geringsten Hang zum sinnierenden Trödeln oder entspannten Bummeln beleuchtet.

Wie radikal ihrer Zeit voraus anstatt nur pompös visionär Beethovens Sinfonik sein kann, bewies Dohnányi in der Neunten. Die raste förmlich ihrem Finale entgegen, in dem neben dem NDR- und dem Rias-Chor auch ein Solistenquartett zum Einsatz kam, das handverlesen schien. Schade, dass Sopranistin Michaela Kaune keinen ihrer besten Tage hatte und Janina Baechles Alt nicht durchdringen konnte. Dafür waren der Heldentenor von Klaus Florian Voigt und der satte Bass von Thomas J. Mayer umso hörenswerter. Der große Wurf, von dem Schiller in seiner Ode sprach, hier war er gelungen. Minutenlange Ovationen. Was auch sonst.