Auf der Website www.das-tut-man-nicht.de werden Gewissenskonflikte von einem mal mehr, mal weniger prominenten Ethikrat gelöst

Alles, was nicht ausdrücklich verboten wird, ist erlaubt? Schön wär's ja. Doch gerade im Bereich des irgendwie noch Zulässigen gibt es viele Möglichkeiten folgenschwerer Betätigung.

Dumm nur, dass vieles davon so rasend viel Freude macht. Touristengruppen vor dem Rathaus so zu fotografieren, dass möglichst alle Köpfe abgeschnitten sind zum Beispiel. Tut man nicht, schon klar. Kann aber lustig sein.

Andererseits: Was man nicht kontrollieren kann, kann man auch nicht verbieten. Verbotsschilder gegen Wasserlassen im Schwimmbad machen relativ wenig Sinn; dummerweise kann man Präzisionshuster im Theater oder in Konzerten so oft das Röcheln verbieten, wie man will. Sie sind immer erst beim Schlussapplaus kerngesund.

Was vielen abhanden gekommen ist, das ist die Haltung

Vor der Allgegenwärtigkeit des Internets hätte man solche und ähnliche Dinge mit sich selbst ausgemacht. Heute ist Hilfe immer nur einen Mausklick entfernt. Was früher die bis zum Dutt mit Kalenderweisheiten gefüllte "Omma" am Bollerofen war, wird heutzutage durch die Runde virtueller Moralapostel abgelöst, mit der die Internetseite www.das-tut-man-nicht.de aufwartet. Wer nicht weiterweiß, kann mailen. Und wird - vielleicht - erhört von einem, der kompetent sein soll.

Ins Leben gerufen wurde dieses Eichamt für Alltagsfragen von zwei prominenten Journalistinnen: Margret Heckel, frühere "Welt"-Politikchefin, und Ex-"Impulse"-Chefredakteurin Ursula Weidenfeld, beide offenbar beeindruckt von Bundespräsident Horst Köhler, der 2009 in einer Rede auf das Ehrgefühl von Geld verbrennenden Bankern zu sprechen kam und postulierte: "Was vielen abhanden gekommen ist, das ist die Haltung: So etwas tut man nicht." Und schon stellten sich neue Fragen: Was tut man dann? Tut man überhaupt etwas? Und wenn ja, warum?

Die Personalliste ist, sagen wir mal: bunt. Unbestreitbare Experten sind dabei, ein Ethikprofessor, der Philosoph Bernhard von Mutius oder Alice Schwarzer. Dann Prominente wie Michel Friedman, bekanntlich kein Wattebausch-Werfer, mitsamt Gattin. Oder die Autorin Katja Kessler. Menschen, die man normalerweise nicht so einfach nach ihrer Meinung fragen kann. Falls man das mal wollen sollte. Es ist aber auch die Frau des Politikers Kurt Biedenkopf mit im Sortiment. Interessante Qualifikation. Ein kleines Manko - man kann sich nicht aussuchen, von wem man sein Anliegen geklärt hätte. Das wäre wirklich ein Spaß.

Die Frage ist offenbar großkalibrig, moralisch gesehen

Aber da Selbstversuche im Zweifel klug machen, ging vor einigen Tagen eine Mail an die Netzphilosophen, mit der nicht ganz theoretischen Frage: "Darf ich Menschen, die nicht in meiner Firma arbeiten, aber in unserer Kantine viel zu viele Plätze belegen, deutlich darauf hinweisen, dass meine Firma kein Restaurant ist?" Knapp zwei Stunden später kam zurück: "Vielen Dank für Ihre interessante Anfrage. Wir versuchen, schnellstmöglich einen Beantworter zu finden, und benachrichtigen Sie dann." Ein Beantworter hat sich bislang nicht gemeldet. Die Frage ist offenbar großkalibrig, moralisch gesehen. So lange steht einem also frei, in Betriebskantinen nach Lust und Laune laut zu werden.

Vielleicht aber ist es ja etwas typisch Deutsches: Sich erst dann zur Tat, in welche Richtung auch immer, trauen zu wollen, wenn vorher jemand grünes Licht gibt. Das hat nur leider auch etwas sehr Onkeliges und Besserwisserisches. Wenn schon aktiv tätig werden, dann doch lieber selbstbestimmt statt fremdgeleitet. Dann muss man die Lorbeeren mit niemandem teilen. Oder hat mehr Auslaufplatz für sich im Fettnapf.