Erst im Kino, jetzt im Fernsehen: “Anonyma“ ist ein Beispiel für den Streit um den sogenannten Amphibienfilm

Schon der Name klingt nicht unbedingt so, dass man dafür Eintrittsgeld zahlen will: Amphibienfilm. Irgendwie igitt! Und genau so ist es auch gemeint: abfällig. "Tolles Drama", hört man öfter. "Super Amphibienfilm"? Eher nicht. Dabei meint es erst mal nicht viel mehr, als dass ein Film nach der Kinoauswertung in der Langfassung im Fernsehen ausgestrahlt wird. Bei genauerem Hinsehen geht es aber um ganz grundsätzliche Fragen: Können Filme beides zugleich schaffen - großes Kino sein und ein Event auf dem Bildschirm? Steckt vielleicht in jeder Filmproduktion ein TV-Zweiteiler? Und wie viel Fernsehdramaturgie verträgt ein Kinofilm?

Auch "Anonyma - Eine Frau in Berlin" von Max Färberböck, der am Montag im ZDF ausgestrahlt wird, ist ein solches Zwitterprodukt. Genauso wie "Der Baader Meinhof Komplex", Heinrich Breloers "Buddenbrooks" und Sönke Wortmanns "Die Päpstin". Für Letzteren war ursprünglich Volker Schlöndorff als Regisseur vorgesehen - bis er für die "Süddeutsche Zeitung" einen Rundumschlag gegen den Amphibienfilm verfasste. Die Regisseure, klagte er unter anderem, seien zum Schludern gezwungen, da sich die Filmlänge verdopple, nicht aber Drehzeit und Budget.

Und während die Branche weiterhin Grabenkämpfe ausficht über Doppelverwertungen in Kino und TV, geht es für den Zuschauer ja letztlich nur darum, ob er für sein Eintrittsgeld einen guten Film zu sehen bekommt. Und ob er einen Mehrwert hat gegenüber der (in diesem Fall 40 Minuten längeren) Fernsehversion.

Wer sich auf das - lohnende - Drama einlässt, wirft einen Blick auf ein Kapitel deutscher Geschichte, über das viel zu lange nicht offen und öffentlich geredet wurde: Erzählt wird von den letzten Wochen des Zweiten Weltkriegs, als Soldaten der Roten Armee in Berlin einmarschieren. Hunger, Verzweiflung, Not herrschen - und die Angst vor Vergewaltigungen. In Färberböcks Film spielt Nina Hoss die "Anonyma", die dieses Schicksal erleidet.

Anonyma ist eine gut aussehende Frau Mitte 30, sie hat als Journalistin und Fotografin gearbeitet, ist gebildet und für die damalige Zeit bemerkenswert emanzipiert. Es gibt keine Sicherheit für Frauen, das hat sie schnell erkannt. Auch nicht in der fast unbeschädigten Wohnung der Apothekerwitwe (gespielt von Irm Hermann), die einigen Ausgebombten ein Dach über dem Kopf bietet. Also ergreift Anonyma selbst die Initiative, sie will sich einen "Wolf" suchen, ihm will sie sich freiwillig zur Verfügung stellen. Dafür soll er ihr die "Meute" vom Leib halten. In Oberleutnant Anatol (Roman Gribkov) scheint sie den Richtigen gefunden zu haben, er und seine Männer sind von nun an häufig in der Wohnung der Witwe, bringen Essen und Getränke mit.

Sein Gegenspieler ist Major Andrej (Evgeny Sidikhin), bei ihm hat sich die junge Frau wegen der fortgesetzten Vergewaltigungen durch die Rotarmisten beschwert. "Unsere Männer sind gesund", bekommt sie als lapidare Antwort, die paar Minuten seien wohl nicht so schlimm. Eines Tages taucht der hochrangige Offizier bei ihr auf. Im Gegensatz zu Anatol scheint er sie zu respektieren - tiefes Leid verbindet sie und trennt sie gleichzeitig.

Es bedarf dieser zarten Episoden im Wechsel mit brutalen Szenen, um eine dunkle Ahnung zu bekommen, was Frauen im Krieg durchgemacht haben. Der Film von Regisseur Max Färberböck, der zusammen mit Catharina Schuchmann das Drehbuch geschrieben hat, orientiert sich an dem autobiografischen Buch "Anonyma - Eine Frau in Berlin", das Ende der 50er-Jahre erstmals in Deutschland erschienen ist. Es basiert auf den Tagebuchaufzeichnungen der Journalistin Marta Hillers, die für NS-Blätter geschrieben hatte, nach dem Krieg in der Schweiz verheiratet war und 2001 in Basel gestorben ist. Ihre detaillierten Erinnerungen gelten bis heute als eine der wenigen authentischen Veröffentlichungen über die Massenvergewaltigungen am Ende des Krieges.

Im Kino musste sich "Anonyma" 2008 mit müden 170 000 Besuchern zufriedengeben, das ZDF, das sechs Millionen Euro zur Finanzierung beisteuerte, rechnet auf dem Sendeplatz am Montag durchschnittlich mit rund fünf Millionen Zuschauern. Es ist hierzulande so: Das Kino hängt am Tropf der Öffentlich-Rechtlichen. Das macht die Sender einerseits zu Ermöglichern.

Im schlechten Falle führt es dazu, dass Regisseure Kinofilme drehen mit dem späteren Zweiteiler im Kopf. Max Färberböck aber hat seinen Kopf dort gehabt, wo er hingehört: bei der Geschichte.

"Anonyma - Eine Frau in Berlin" , ZDF, Montag und Mittwoch, jeweils 20.15 Uhr. Das ZDF zeigt am Mittwoch anschließend um 21.45 Uhr die Dokumentation über "Die Frauen von Berlin".