Unbekannter zahlt bei Christie's-Auktion in New York für “Nackte, grüne Blätter und Büste“ 106 Millionen US-Dollar

Hamburg. Dienstagabend bei Christie's in New York: Spannung liegt in der Luft, als Pablos Picassos Gemälde "Nackte, grüne Blätter und Büste" aus dem Jahr 1932 zur Versteigerung kommt. Augenzeugen berichten, dass Auktionator Christopher Burger noch einmal tief durchatmet, bevor er das erste Gebot aufruft. Er beginnt mit 58 Millionen Dollar, doch das beeindruckt hier niemanden. Dann treibt er die Gebote immer schneller in die Höhe, spricht schließlich so hastig, dass die elektronische Anzeige nicht mehr mithalten kann. Bei 88 Millionen sind sechs der ursprünglich acht Bieter ausgestiegen. Jetzt wird Burger langsamer, motiviert die Kontrahenten. Nach neun Minuten ist die Marke von 93 Millionen erreicht. Das dürfte es gewesen sein, denken die meisten Zuschauer, und der Auktionator will bereits zuschlagen, aber dann geht das Bieterduell unerwartet doch noch weiter: 94 Millionen werden geboten, bis einer der Kontrahenten schließlich bei 95 Millionen Dollar den Zuschlag erhält.

Am Ende wird der anonyme Käufer, der seine Gebote per Telefon abgab, einschließlich des Aufgeldes 106 482 500 US-Dollar (etwa 80 Millionen Euro) zahlen und dafür eines der Hauptwerke der klassischen Moderne sein Eigen nennen. "Heute wurde auf dem Kunstmarkt Geschichte geschrieben", meinte ein Christie's-Sprecher. Tatsächlich geht Picassos Gemälde in die Annalen des internationalen Kunsthandels ein, denn nie zuvor wurde auf einer Auktion für ein Kunstwerk eine so hohe Summe erzielt.

Im Ranking der teuersten Kunstwerke liegt Picasso nur noch hinter Jackson Pollocks Bild "No. 5 1948" (140 Millionen Dollar) und dem Porträt von Adele Bloch-Bauer des Wiener Jugendstil-Malers Gustav Klimt (135 Millionen), doch beide Werke wurden nicht versteigert, sondern privat veräußert.

Aber was führt dazu, dass Kunstwerke solche enormen Preise erzielen? Zunächst müssen die Rahmenbedingungen stimmen. Spitzenwerke der europäischen klassischen Moderne erfüllen die dafür notwendigen Voraussetzungen. Picassos Gemälde war immerhin auf 70 bis 90 Millionen Dollar geschätzt worden. Doch dürfte neben der unbestreitbaren Qualität des Bildes auch dessen Geschichte eine entscheidende Rolle gespielt haben. Vor der Auktion war das Gemälde letztmalig 1961 auf einer Ausstellung in Los Angeles öffentlich zu sehen gewesen. Selbst namhafte Picasso-Experten hatten es seither nur auf Abbildungen sehen können.

Pablo Picasso war 50 Jahre alt und befand sich in einer Phase, in der er surrealistische und neoklassizistische Einflüsse auf ganz eigene Weise in sein Werk integrierte. Das Bild, das er im Lauf eines einzigen Tages malte, zeigt im Vordergrund einen weiblichen liegenden Akt vor einem blauen Vorhang. Rechts dahinter ist auf einem dunklen Sockel eine Büste zu sehen, daneben der Zweig einer Blattpflanze, ganz im Vordergrund links angeschnitten eine Schale mit Obst.

Das Bild hat Picasso offenbar viel bedeutet, denn zunächst hing es in seiner eigenen Wohnung. Nach Kriegsbeginn übernahm es sein Kunsthändler Paul Rosenberg, der es in einem geheimen Depot vor den deutschen Besatzern versteckte. Für die Nationalsozialisten galt Picassos Kunst als "entartet".

Zwei dieser Gemäldedepots wurden von den Nazis geplündert, die "Nackte" blieb jedoch unentdeckt. 1951 verkaufte Rosenberg das Bild an den amerikanischen Geschäftsmann Sidney F. Brody. Über den damaligen Kaufpreis ist nichts bekannt. Der kalifornische Immobilienhändler war ein begeisterter Kunstsammler. Er besaß u. a. Werke von Matisse, Braque, Renoir, Giacometti, aber auch von amerikanischen Künstlern wie Alexander Calder.

Brody lebt seit 1983 nicht mehr, seine gleichfalls kunstbegeisterte Witwe starb 2009. Insgesamt 27 Objekte aus dem Nachlass wurden von den Erben zur Versteigerung gebracht, der Auktionserlös betrug 224,5 Millionen Dollar.

Sidney Brody hatte beim Kunstkauf stets eine glückliche Hand gehabt und bedeutende Werke früh, als der Marktpreis noch niedrig war, erworben. Über die 106 Millionen Dollar hätte er vermutlich ungläubig den Kopf geschüttelt. Noch erstaunter wäre wohl der Künstler selbst gewesen. Eine Journalistin rechnete nach, dass es Picasso, selbst wenn er 24 Stunden am Stück gemalt hätte. auf einen Durchschnittslohn von 1232 Dollar gebracht hätte - nicht etwa pro Stunde, sondern für jede einzelne Sekunde.