Der Starregisseur dreht in Babelsberg “Anonymous“, einen Film über den größten Dramatiker aller Zeiten

Babelsberg. Merkwürdige Gestalten bevölkern den aufwendig dekorierten Set vor den Toren des Studiogeländes in Babelsberg. Einarmige, zerlumpte und verdreckte Menschen schleppen sich durch den Matsch und über Holzbohlen hin zu einem hölzernen Rundbau. Dort drängen sie sich auf mehreren Etagen vor der Bühne, um eine Aufführung von "Henry V." zu erleben. Jetzt, bei der Probe, noch auf Deutsch, später wird auf Englisch gedreht, denn hier entsteht eine Produktion für den internationalen Markt. Roland Emmerich, der deutsche Blockbuster-Regisseur in Hollywood, dreht wieder zu Hause. "Anonymous" heißt sein neues historisches Werk.

Das Thema ist ungewöhnlich für den Mann, der sonst erfolgreich Katastrophen inszeniert ("2012", "The Day After Tomorrow"). Es geht um Shakespeare und seine umstrittene Autorschaft. Auf der grünen Wiese hat man das historische Rose Theatre wieder aufgebaut. Das Londoner Theater war bis 1603 auch für das ärmere Publikum eine willkommene Abwechslung im oft tristen Alltag. Im Film brennt es schließlich ab. Auf der Bühne dirigiert Emmerich das Geschehen. Blaues Polohemd, schwarze Jeans. Ein Gegenbild zum inszenierten Elend um ihn herum.

Kontraste gibt es viele zu beobachten. Hauptdarsteller Rhys Ifans, der eigenwillige Mitbewohner von Hugh Grant in "Notting Hill", steht in einer Drehpause in vollem fürstlichen Bühnenornat da und löffelt Vanillepudding mit Kirschen aus einem Plastikbecher, während er sich lässig auf sein Schwert stützt. Komparsinnen, die noch "zu sauber" aussehen, wird das Gesicht schmutzig geschminkt. Auf einem der Nachbargebäude steht in großen Lettern "Kollege! Denk immer daran: Deine Arbeit dem Fünfjahresplan". Auch das ist eine Erinnerung an die Vergangenheit, wenn auch an eine ganz andere. Später sitzt Emmerich im Kreis seiner Darsteller auf der Bühne. Als "Katastrophenfilmer" will er sich offenbar nicht mehr verstanden wissen, wird sogar etwas maulig, als er gefragt wird, ob es in diesem Film nicht wenigstens ein klitzekleines Erdbeben geben wird. Seine Filme waren an der Kinokasse oft außerordentlich erfolgreich, die Kritik war von ihnen aber nicht immer begeistert. Könnte sein, dass er jetzt nach einer anderen Art von Anerkennung sucht. Wichtig ist für ihn aber offensichtlich auch der Drehort in Deutschland. "Ich liebe es hier und wollte immer zurückkommen", gesteht er.

Nun kratzt er an einem Denkmal der Literaturgeschichte. Der Film suggeriert, Edward De Vere, der Earl of Oxford, sei der wahre Autor der berühmten Stücke. Er war belesener und hatte mehr von der Welt gesehen als Shakespeare. Seit mehr als 100 Jahren streiten sich die Forscher über die Autorenfrage. Wer war Shakespeare wirklich? Auch Christopher Marlowe, Francis Bacon und Königin Elizabeth selbst werden als "wahre" Shakespeares ins Gespräch gebracht.

Jetzt ist es ausgerechnet ein Deutscher, der hilft, einen englischen Säulenheiligen zu demontieren - mit überwiegend britischen Darstellern. Vanessa Redgrave spielt die alte Königin Elizabeth, ihre Tochter Joely Richardson die junge Monarchin. Redgrave springt ihrem Regisseur zur Seite. Die Deutschen seien schon früh von Shakespeares Kunst begeistert gewesen. Ihr Vater Michael, der ebenfalls Schauspieler war, habe gesagt: "'König Lear' klingt auf Deutsch besser als im Original." Es geht aber nicht nur um die Autorenfrage in Shakespeares Werk, sondern auch um Politik, Intrigen und die Frage, wer Elizabeth I. beerben wird. "Was wir machen, ist kontrovers." Da ist sich Regisseur Emmerich sicher. "Es wird ein politischer Film. Die Gesellschaft, von der wir erzählen, ist mir so fremd wie die in 'Avatar'."

"Anonymous" hat mit 30 Millionen Dollar ein für Emmerichs Verhältnisse geradezu bescheidenes Budget. "2012" soll 200 Millionen Dollar gekostet haben. In seine Crew hat sich der Regisseur viele Mitstreiter geholt, mit denen er auch schon bei "2012" zusammengearbeitet hat. Die Spezialeffekte liefern Volker Engel und Marc Weigert. Sie arbeiten nach dem Motto "größer, schneller, billiger" - ihr Chef ist schließlich Schwabe. Sie zeigen am Rechner ein opulentes Panorama Londons im 16. Jahrhundert. Schon im vorläufigen Stadium beeindruckend ist die Beerdigungsszene von Elizabeth auf der zugefrorenen Themse. "Roland hat immer die etwas größere Vision", so Weigert.

Auch für die Kostümbildner. 200 Kostüme halten Lisy Christl und ihre Mitarbeiter bereit, von zerrissener Kleidung für die armen Leute bis hin zu den prächtigen Roben der Königin. Allein für Mutter und Tochter Redgrave wurden 20 Kleider genäht.

Schon jetzt scheint klar, dass hier kein dröger literarischer Krimi gedreht wird. Drehbuchautor John Orloff: "Es wird kein Film nur darüber, wer die Stücke geschrieben hat. Hier geht es um Kunst und Politik." Daraus lassen sich allemal dramatische Funken schlagen, nur eben andere als aus apokalyptischen Szenarien.

Das hat jemand schon vor mehr als vier Jahrhunderten in einzigartigen Komödien, Tragödien, Historien und Sonetten gezeigt, die die Zeiten sehr lebendig überdauert haben. Ganz gleich, wer sie geschrieben hat. "Anonymous" soll 2011 in die Kinos kommen.