Am 10. Juni 1982 starb Rainer Werner Fassbinder mit nur 37 Jahren in München. Arte ehrt den Filme- und Theatermacher mit einer Sendereihe.

Hamburg. "Viele Filme machen, damit mein Leben zum Film wird" - das war Rainer Werner Fassbinders Traum. Er hat sich ihn mit über 40 Werken in seinem kurzen Leben erfüllt - und dafür auch mit ihm bezahlt. Er starb im Alter von 37 Jahren am 10. Juni 1982 an Drogen. Als rastloser Autodidakt rebellierte Fassbinder gegen die Konventionen in der Gesellschaft wie in der Kunst. Zum 30. Todestag präsentiert Arte vom 8. bis zum 25. Juni eine Hommage mit Spielfilmen. Die Reihe eröffnet heute der Zweiteiler "Welt am Draht".

"Als ich die erste Einstellung in meinem Leben gedreht habe, das war eigentlich toller als der tollste Orgasmus, den ich je hatte. Das war ein Gefühl, das war unbeschreiblich", zitiert Jürgen Trimborn in seiner Biografie "Ein Tag ist ein Jahr ist ein Leben" Fassbinder. Der Satz offenbart dessen kompromisslose emotionale und nahezu sexuell körperliche Hingabe an seine Profession. Er teilte mit den Mitgliedern seines "Clans" aus Schauspielern und Mitarbeitern Studio und Tisch, mit zahlreichen auch das Bett. Der Film und das Theater wurden für den im tiefen Innern einsamen, zerrissenen bisexuellen Mann zur Familie, deren Exzesse, Katastrophen und Zerwürfnisse er so kreativ wie skrupellos ausbeutete.

Obwohl Fassbinders Passion von Anfang an dem Kino galt, fand der am 31. Mai 1945 in Bad Wörishofen geborene Arztsohn eigentlich über das Theater zum Film. Er gründete 1968 in München mit Hanna Schygulla, Kurt Raab und Peer Raben, seinem Kreativkleeblatt der folgenden Jahre, das "antitheater", verfilmte jedoch ein Jahr später sein Stück "Katzelmacher". In der Arbeit wie in der Liebe fuhr Fassbinder weiterhin "zweigleisig", drehte, aber inszenierte auch in Bochum und Bremen. Er überschrieb Dramen von Lope de Vega oder Goldoni ("Das Kaffeehaus") und verfasste eigene wie "Bremer Freiheit". In seiner Frankfurter Zeit am Theater am Turm provozierte er mit "Der Müll, die Stadt und der Tod" einen Skandal. Nicht der Einzige in seiner Karriere. "Beim Theatermachen lerne ich mehr", bekannte Fassbinder einmal. "Erfahrungen, die man beim Film macht, kann man am Theater nicht verwerten, wohl aber umgekehrt." Das ist seinen Filmen anzumerken. Trotz seiner Kritik an System und Gesellschaft der BRD ("Deutschland im Herbst") und dem Umgang mit der Nazi-Vergangenheit ("Lili Marleen") sind sie nicht frei von Kitsch, Pathos und Theatralik. Man denke nur an die effektvollen Spiegel-Shots, die zu Fassbinders stilistischen Merkmalen gehören wie die kreisende Kamera oder das oft im Hintergrund spielende Radio.

Fassbinder ist vom Film Noir und Hollywood-Western ebenso beeinflusst wie von den technisch raffinierten und wirkungsvollen Leinwand-Melodramen eines Douglas Sirk, der Zarah Leander, Claudette Colbert und Barbara Stanwyck groß herausbrachte. Auch Fassbinder verhalf seiner "Muse" Hanna ("Ohne ihn hätte es die Schygulla nicht gegeben", gibt sie zu), Irm Hermann, Ingrid Caven, Margit Carstensen oder Barbara Sukowa zu Starruhm.

Fassbinders starke Frauenfiguren entfalten ihr dramatisches Potenzial auch auf der Bühne. Es ist eine Ironie des Schicksals, dass sein in der Heimat eher ignoriertes Werk im Theater weiterlebt. Laut Fassbinder Foundation wurden elf seiner Filme posthum für die Bühne bearbeitet, sind in dieser Saison an 13 Theatern zu sehen.

Fassbinder wollte für das Kino sein, was Shakespeare für das Theater war. In gewissem Sinne hat der ungeliebte Sohn seiner Familie und des Freistaats Bayerns lange nach seinem Tod jetzt den Status eines (Film-)Klassikers errungen. Jedenfalls war er jemand, nach dem nichts mehr so war wie vorher.

"Welt am Draht (1 + 2)" heute, 20.15 Uhr, Arte; die Filmreihe läuft noch bis zum 25.6. auf Arte