Beim Franzosentag für Oldtimer in der Gasolin-Tankstelle am Großmarkt scheint die Zeit stehengeblieben zu sein

Wenn Sie wieder einmal genug haben von unserer hektischen und hysterischen Zeit und sich ein paar Jahrzehnte zurück sehnen, setzen Sie sich doch in Ihr Auto, fahren auf der Amsinckstraße Richtung Elbbrücken, nehmen die Abfahrt Rothenburgsort und dann dem Hinweisschild Großmarkt nach. Und schon sind Sie zurück in den 1950er-Jahren. Dort, knapp 100 Meter vom Großmarkt entfernt, eingegrenzt vom großen blauen „Deichverteidigungs-Depot“, den Betonsäulen der S-Bahn nach Harburg und dem Billhorner Kanal mit ein paar alten Motorkähnen, finden Sie ihren Traum – Hamburgs letzte Tankstelle aus den 1950er-Jahren. Die Theke innen, mit rotem Kunststoff bezogen. Die Vase mit den Blumen auf den Tischen, die blauen Stühle aus Polyester, der Blechschrank für das Werkzeug: alles original aus der Nachkriegszeit. Selbst die Musikbox an der Wand schluckt nur Groschen und keine Cent. Und dann singt Buddy Holly…

Die Gasolin-Tankstelle am Billhorner Röhrendamm – sie firmiert als Großtankstelle Brandshof. Und sie ist doch ein kleines Schutzreservoir – nicht gerade für eine aussterbende, aber doch für eine liebens- und erhaltenswerte Spezies. Dort finden Menschen einen vertrauten Ankerplatz, die alte Autos lieben.

Auto aus dem Jahr 1918 durch den TÜV gebracht

„Die kommen inzwischen aus Schweden und Dänemark, Holland, Österreich, der Schweiz, aus Frankreich und natürlich aus ganz Deutschland zusammen“, sagt Alex Piatscheck. Er hat mit seinem Freund und Partner Jann de Boer das alte Gebäude mit der 1953 eingeweihten und 1983 stillgelegten Tankstelle gekauft, renoviert und vor vier Jahren neu eröffnet. Eine Oldtimertankstelle mit den original Zapfsäulen natürlich. Aus denen sprudelt allerdings kein Benzin mehr. Dafür wären die Sicherheitsmaßnahmen zu aufwändig.

Was den 38-Jährigen, der seinen Ingenieur in Fahrzeugtechnik ganz in der Nähe am Berliner Tor machte, und seinen Freund antrieb? „Es ist das Faible für die alte Technik“, sagt der Prüfingenieur. „Vom Anlasser bis zum Getriebe und dem Motor, alles kannst du auseinandernehmen und bekommst es auch wieder zusammen. Meistens jedenfalls. Zur Not kannst du auch einzelne Teile nachbauen. Und du weißt, das funktioniert schon seit 50, 60 oder schon seit 100 Jahren. Als Prüfer habe ich einmal ein Auto von 1918 durch den TÜV gebracht, ein englisches Fahrzeug. Die Marke habe ich vergessen. Die wird es längst nicht mehr geben. Es gehört ja auch eine Sammelleidenschaft dazu. Und die Liebe zum Detail. Von dem Oldtimer-Virus sind wir ja alle infiziert.“

Der Star unter den Franzosen parkt etwas abseits

Als Oldtimer wird übrigens nicht jedes Auto anerkannt, das älter als 30 Jahre ist. „Es muss dazu ein automobiles Kulturgut, aber keine Schrottkiste sein“, ergänzt Alex Piatscheck. „Erst dann bekommt man das spezielle Nummernschild mit dem H am Ende.“

Die Gasolin-Tankstelle ohne Benzin, aber mit täglichem Frühstück morgens ab 4 Uhr (wegen des benachbarten Großmarktes), bietet an zehn Wochenenden im Jahr ganz besondere Höhepunkte. Dann rollen Besitzer mit ihren uralten VWs, mit betagten Fords oder aufgefrischten Opels heran.

Heute ist Franzosentag.

Citroen und Peugeot, ein kleiner, bunter Renault-Alpine, und natürlich auch ein halbes Dutzend der geliebten Enten, die meisten im frischen Lack. Einer der Stars aber parkt bescheiden an der Seite und sein Lack ist verwischt und ein wenig blass. „An meinem Peugeot habe ich alles im Original gelassen“, erzählt Hartmut Fröhlich, ein pensionierter Airbus-Mitarbeiter aus Fredenbeck im Landkreis Stade, der schon vor Jahrzehnten sein Techniker-Herz an alte Autos und Traktoren verloren hat. „Schauen Sie“, sagt er und öffnet die Fahrertür, „noch die alten Sitze von 1935. In denen hat schon so manche Mausefamilie ihre Kinder groß gezogen. Das Auto ist am 19. Juli 1935 in einem Ort in den Pyrenäen zugelassen worden. Davon sind nur 39 000 Stück gebaut worden. Ich habe das Auto 1988 von einem Apotheker in Frankreich gekauft. Der war der erste, ich bin der zweite Besitzer.“

Beim Schauen, Staunen und Bewundern kann man sich mit einer Frage schnell blamieren: „Und wo sind bei dem Auto die Blinker, Pardon, ich meine natürlich die Winker?“ Hartmut Fröhlich lacht, streckt den linken Arm aus und hält die Hand gerade nach oben. „Wenn ich den Arm so ausstrecke, heißt das – ich biege nach rechts ab, strecke ich ihn gerade heraus, heißt das Linksabbieger.“

Ob Oldtimer-Liebhaber das Schrauben mehr lieben als das Fahren? Hartmut Fröhlich sagt dazu nur: „Der Peugeot 301 D wird seit 27 Jahren von mir gepflegt. Gefahren bin ich damit 700 Kilometer.“

Egon Gothmann hat noch eine viel engere Beziehung zu seinem Peugeot 402 B. „Mein Blechliebling hier ist am 10. April 1939 zugelassen worden“, sagt der Senior mit dem Bart. „Und am selben Tag ist mein Liebling geboren worden“, ergänzt lachend Ehefrau Ilse. „Und zwar genau hier, in Rothenburgsort“, führt der lebensfrohe 76-Jährige das Gespräch weiter. „An dieser Gasolin-Tankstelle habe ich früher getankt.“

Ilse und Egon Gothmann sind nicht nur die Organisatoren des Franzosen-Treffens. Die beiden sind längst eine Institution in der Szene. Bei einem Oldtimertreffen in Marne erhielt das Ehepaar den Ehrenpreis für das älteste Teilnehmerpaar. „Wir kamen auf 161 Jahre“, sagt Egon Gothmann lachend und freute sich über ein modernes Kofferradion, auf Oldstyle getrimmt.

Die Motorhaube ihres frisch lackierten Peugeot muss offen bleiben. Egon hat im Innenraum neben dem Motor ein Blech angebracht. Ilse hat dafür extra ein weißes Deckchen gehäkelt. Darauf stehen Gläser. Auf dem Autodach haben die beiden ein Fässchen mit einem langen Schlauch. Damit füllt Egon die Gläser. „Natürlich mit Rotwein, den wir in Frankreich kaufen“, sagt Ilse, die in wenigen Tagen ihren 85. Geburtstag feiert. „Und sie schraubt noch immer am Auto“, erzählt Egon voller Stolz und muss einen Neuankömmling mit einem Gläschen Wein begrüßen.

Begleiter aus einer längst untergegangenen Zeit

Auch Alex Piatscheck, Mitbesitzer und Prüfingenieur (GTÜ) dieser Oase für Oldtimer-Liebhaber, wird im Gedränge angehalten. „Ich habe einen Opel Rekord C, Baujahr 1971“, fragt der Fremde, „mit anderen Rädern und einem Sportlenkrad, komme ich damit durch den TÜV?“ Die Lösungen für solche Sorgen und Fragen, von der Hauptuntersuchung bis zum Wertgutachten für schöne alte Autos gehören zur geschäftlichen Grundlage der historischen Tankstelle. Alex Piatscheck selbst besitzt und pflegt einen VW Bus T2 mit Doppeltüren. Können die nicht schon bis zu 100 000 Euro wert sein? „Leider nein“, sagt Alex Piatscheck. „Das ist das Vorgängermodell, der berühmte T 1.“