Hamburg. Neue Ausstellung: Das Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg (MKG) zeichnet eine merkwürdige Epoche nach

. Mit der Ausstellung „Jugendstil. Die große Utopie“ zeichnet das Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg (MKG) eine Epoche nach, die weit mehr hervorbrachte als verspieltes Dekor. Der Jugendstil definiert sich über Reformansätze, Visionen und Utopien, die auf eine Erneuerung der Gesellschaft ausgerichtet sind.

Die Sonderausstellung mit 350 Exponaten, die noch bis zum 7. Februar 2016 läuft, beleuchtet diese kulturhistorischen Hintergründe und Entwicklungen und schlägt den Bogen von Karl Marx‘ „Kapital“ bis zu Peter Behrens‘ Salonflügel mit Zitaten aus Friedrich Nietzsches „Zarathustra“. Sie zeigt Reformkleider, ein Solarbad für Sonnenhungrige, Fotografien von nackten Freiluft-Sportlern oder Loïe Fullers berühmte Lichttänze. Die Künste greifen die umwälzenden Veränderungen im privaten und gesellschaftlichen Leben des modernen Menschen auf, entwerfen neue Lebensmodelle und experimentieren mit technischen Neuerungen.

Gustav Klimt, Edvard Munch und Alfons Mucha spiegeln die vielfältigen Projektionen auf die Frau. Ferdinand Hodler und Paula Modersohn-Becker studieren das Kind. Immer wieder ist die Natur Inspirationsquelle, besonders für die Künste.

Das MKG zeichnet mit verschiedenen Möbeln und Raumensembles ein Bild vom Spektrum der ästhetischen Konzepte und Formsprachen am Beginn des 20. Jahrhunderts nach.

Weltverbesserer

Die Künste werden zum Mittel der Weltverbesserung, der Jugendstil zum Ausdruck einer mutigen Reformbewegung von Künstlern quer durch Europa. Sie fordern den verantwortungsbewussten Umgang mit Ressourcen und Arbeitskraft, streben nach selbstbestimmtem Arbeiten als Lebenssinn. Das Individuum wird in seinen Befindlichkeiten ernst genommen. Geschlechterrollen brechen auf. Die Kritik an der Entfremdung des Menschen von sich selbst in der modernen Industriegesellschaft befördert eine Sehnsucht nach Ursprünglichkeit.

Hochwertige, schöne Produkte

Die Künstler des Jugendstils begehren auf gegen die noch neue Konsumkultur, gegen die standardisierte Massenware minderer Qualität, die zum Teil unter prekären Umständen produziert wird. An deren Stelle sollen hochwertige Produkte treten, deren Schönheit die Lebensqualität des Menschen in seinem Alltag hebt. An der Speerspitze der englischen Arts & Crafts-Bewegung legt der Designer und Theoretiker William Morris den Grundstein für die Reformbewegungen um 1900. Der überzeugte Sozialist erschafft in seinen Stoff- und Teppichentwürfen, die nach alten Techniken mit der Hand statt der Maschine gefertigt wurden, eine Gegenwelt zur britischen Textilindustrie.

Der befreite Körper

Die „Gesundung“ des „nervösen“ Stadtmenschen in der Natur wird ab etwa 1890 in europäischen Lebenskommunen geradezu kulthaft verfolgt. Hygienische und ästhetische Diskurse setzen auf eine Befreiung, Ertüchtigung und Pflege des Körpers als Tempel der Seele. Der Suche nach größtmöglicher Natürlichkeit steht die ästhetische Optimierung durch „Muskelschönheit“ gegenüber. Licht und Bewegung werden zu Leitbegriffen der Lebensreform, Sonnenlicht soll sogar über die Nahrung einverleibt werden, Nacktheit gilt als gesellschaftspolitische Emanzipation.