Norderstedt. Die Gärtnerin aus Leidenschaft und gebürtige Friedrichsgaberin wird am 1. Mai nächsten Jahres 90 Jahre alt und ist immer noch Selbstversorgerin

Mit großem Schritt steigt Lilly Kock über den jungen Grünkohl, kreuzt das Kohlrabi-Beet und bringt sich mitten in den Kürbisranken in Position, umgeben von blühenden Dahlien. In der Hand schwenkt sie eine veritable Zucchini. Der gehört zwar zur Familie der Garten-Kürbisse, aber zu einem anderen Zweig. Egal. Fürs Foto sind die Ranken des Atlantic Giant dekorativ und damit gerade recht. Meint auch Lilly Kock. 89 Jahre ist sie alt und immer noch mit Harke, Schaufel und Spaten im Garten unterwegs. Unermüdlich.

Wenn die Norderstedterin ihren Gemüsegarten nicht bestellen dürfte, wäre die Welt für sie nicht mehr in Ordnung. Der Geruch frischer Erde beim ersten Umgraben, das Säen von Möhren, die bei ihr noch Wurzeln heißen, von Erbsen und Radieschen, das Setzen von Kartoffeln, Kürbis, Kohlrabi und Zucchini, später von Grünkohl, die erste Ernte, das Einfrieren, Einkochen und Einlegen von Gurken und Rote Beete ist für Lilly Kock ein Lebenselexier. Sogar ein Stück ihrer Terrasse hat sie selbst gefliest.

Das zweite Lebenselixier ist ihre Familie, sind ihre drei Töchter und Sohn Henry mit sieben Enkelkindern, und wenn beides zusammen geht, beispielsweise bei einem Familienessen, das sie für alle kocht und ausrichtet, dann ist Lilly Kock selig. 20 Personen, manchmal auch mehr, sitzen bei ihr an der Weihnachtstafel. „Es kommen ja immer mal welche hinzu“, sagt Lilly Kock und lächelt verschmitzt. Ihre Familie wohnt auch auf ihrem Grundstück, auf dem ehemaligen Bauernhof an der Quickborner Straße 55, dort, wo jetzt die AKN die Felder und Wiesen des ehemaligen Kockschen Gehöfts durchschneidet.

„Das ist hier so richtig laut an der Kreuzung, vor allem, wenn die Bahn fährt, die Lkw vor der Ampel bremsen, und die Flugzeuge über uns hinwegbrausen, aber ich möchte nirgend woanders sein“, sagt Lilly Kock, und ihre Augen strahlen. Gegen den Lärm hat sie einen großen Rhododendron-Busch als Schallschutz gepflanzt. Fast ihr ganzes Leben hat die 1926 geborene Fried­richsgaberin auf dem Hof verbracht. „Hier war der alte Frie­­d­­richsgaber Ortskern, davon ist nichts geblieben“, sagt Lilly Kock. Einst war der Bauernhof auch Postannahmestelle. Zwei Linden standen vor dem Wohnhaus, wie sie auf einer alten Fotografie zeigt. Auf der sind auch Hinrich Kock, der Großvater ihres Mannes, seine Ehefrau in feierlichem Schwarz mit piekfeiner, weißer Schürze und deren Sohn Emil zu sehen.

Eine spätere Aufnahme zeigt zwar noch die Linden, doch jetzt steht einer der prachtvollen Bäume nicht mehr. Nur noch eine alte kranke Eiche. Der Straßenbau forderte seinen Tribut. „Ich hoffe, dass die Stadt Norderstedt die Eiche bald fällt, denn die anderen Bäume, auch die Linde, leiden mächtig unter dem kranken Baum“, sagt Lilly Kock. Am meisten sorgt sie sich um die wunderschöne Araukarie, die sie in den Vorgarten gepflanzt hat.

1950 hat sie ihren Willi geheiratet, 60 Jahre später die diamantene Hochzeit gefeiert, vor fünf Jahren ist er Heiligabend gestorben. Seitdem ist sie zwar nicht allein, aber für sich. „Wir haben uns gegenüber in Wenzels Gasthof beim Tanzen kennengelernt, das waren fröhliche Zeiten“, schwelgt sie in Erinnerung an „damals“, als die Nächte noch durchgetanzt wurden, und es trotzdem frühmorgens auf den Acker ging oder zum Melken in den Kuhstall.

1961 hat sie nach dem Tod des Schwiegervaters mit ihrem Mann den Hof übernommen. Lilly Kock hat Kühe gemolken, Schweine, Gänse, Enten und Hühner gefüttert, gehegt und gepflegt, die Stallungen ausgemistet und vor allem den großen Garten beackert, ein Vielfaches an Fläche des heutigen. „Wenn ich in Sackschürze und Gummistiefeln über den Hof lief, konnten alle gar nicht glauben, dass ich abends schick in Schale mit meinem Willi ausgehe“, sagt die Mutter von vier Kindern, die auch schon im Rentenalter sind. „Die sind immer alle für mich da, das ist nach dem Tod meines Willi mein großer Trost“, sagt sie.

Rund ums Haus reichte der Gemüsegarten, für die Kartoffeln gab es ein Feld extra. „Wir hatten viele Gemüsesorten, Fleisch, Eier und Milch, wir lebten fast autark“, erinnert sich Lilly Kock. Auch Erdbeeren und Spargel baut die ehemalige Landwirtin an. „Ich musste nichts kaufen, auch kein Suppenkraut, alles habe ich frisch aus meinem Garten geholt, und das ist noch heute so“, sagt sie stolz. Wurzeln aus dem Supermarkt? Oder Kartoffeln? Gurken? Erbsen? „Das schmeckt nach gar nichts“, sagt sie kategorisch.

Auch jetzt sind Regale und Tiefkühler in ihrem Keller wieder voll. Beispielsweise hat sie 20 Pakete Suppengrün eingefroren und viele Gläser Grüne Bohnen eingeweckt. Die Kartoffeln müssen ebenso bis zum Frühjahr reichen wie Erbsen und Wurzeln, von der selbst eingelegten Roten Beete und den Gurken ganz zu schweigen.

„Meine Gurken sind ein Gedicht“, sagt sie zufrieden. „Gut geräucherten Schinken und meine Gurken dazu, was Besseres gibt es nicht, das sagen auch meine Kinder und Enkel“, ergänzt sie. Zu ihren Favoriten gehört auch Kohlrabi. Der eigene natürlich. Was anderes kommt ihr nicht in die Küche. „Ich freue mich schon auf den Frühling. Im April geht es wieder los, dann setze ich die ersten Kartoffeln“, plant Lilly Kock schon jetzt ihre nächste Gartensaison.