Berlin.

Es war eine milde Nacht gegen halb drei Uhr morgens, als Samuel Koch aus seinem Rollstuhl herausgerutscht war und fast kopfüber mit Blick auf das nahe Maisfeld ausharren musste. Stundenlang. Ganz alleine. Hilflos. Für den 28-Jährigen ist dies, was auf den ersten Blick überraschen mag, eine Anekdote über Glück. „Kein Handy, kein Computer, keine Menschen waren um mich, und ich hatte nichts anderes zu tun, als einfach zu sein.“ Stunden später, als die Nachbarshunde nicht aufgehört hatten zu bellen, war das Herrchen dann mit der Taschenlampe losgezogen und hatte den wohl berühmtesten deutschen Rollstuhlfahrer unweit seines Elternhauses in dieser misslichen Lage entdeckt und ihm geholfen.

Vielleicht ist das die Schlüsselszene, die Samuel Kochs Charakter am besten beschreibt. In ausweglosen Zeiten nicht nach hoffnungslosen Taten, sondern nach Leichtigkeit und Gottesnähe zu streben.

Gestern stellte der nach seinem Unfall in der Fernsehsendung „Wetten dass..?“ gelähmte Schauspieler sein zweites Buch „Rolle vorwärts“ im Staatstheater Darmstadt vor. Dort ist er Mitglied des festen Ensembles, spielt derzeit den Prinzen von Homburg. Und darum geht es auch in seinem zweiten Buch. Wie es ist, eine Schauspielausbildung „ohne Körper“ zu absolvieren. Außerdem um die Rolle seiner Pfleger, über die er sich oft auch ärgerte. Um Gedanken zu Selbstmord, um Diskriminierung und das Scheitern an Alltagssituationen, das er allerdings nicht ohne Humor nimmt.

Als Tetraplegiker kann Koch weder Arme noch Beine bewegen. Fast heiter beschreibt er dennoch sein Morgenritual. „Ich beiße vom Brötchen ab, dann wird mir der eine Ärmel angezogen, ich beiße wieder vom Brötchen ab, der zweite Ärmel und so weiter. Passend zu unserer schnelllebigen Leistungsgesellschaft nutze ich selbst die Kauzeit, um währenddessen etwas anderes zu schaffen.“ Das schmerzvolle Thema bleibe jedoch die Frisur. Konnte Koch früher seine Haare innerhalb von ein bis zwei Sekunden „ausgehfertig strubbeln“, kriegt es heute kein Stylist und Pfleger der Welt hin, sondern eigentlich nur sein Bruder. Sich salonfähig fürs Stiftungsjubiläum machen zu lassen, koste ihn jedes Mal zwei Stunden.

Koch war früher Extremsportler, ein Typ, der morgens den Tag mit einem Handstand begann. Nach seinem tragischen Sturz bei einem Stunt-Sprung über ein Auto vom Hals abwärts gelähmt zu sein: Die Ausweglosigkeit dieser Situation verführte den jungen Mann auch zu düsteren Ideen, wie er schreibt. „Bei einem Gedankenspiel wie ‚Ich könnte jetzt mit dem Rollstuhl von dieser Klippe fahren‘ kam ich sehr schnell bei der Befürchtung an, dass ich dann am Ende wieder mal nicht totzukriegen sein könnte, sondern nur noch ein erbärmlicheres Häufchen Elend.“

Gedankenspiele, die er aus verschiedenen Gründen nie besonders weit trieb. Gründe wie die Liebe zu seiner Familie, besonders zu seinem Vater, dem er „nicht noch traurigere Augen“ verursachen wolle, den Menschen, die ihm schreiben und denen er Vorbild sein wolle – all das sei für ihn unglaublich rührend und motivierend.

Schauspielausbildung erfolgreich abgeschlossen

Zudem war das vergangene Jahr für Samuel Koch ein sehr erfolgreiches – und von Liebe gekrönt. Er schloss seine Ausbildung an der Schauspielschule in Hannover ab und lernte während eines Gastspiels in der ARD-Telenovela „Sturm der Liebe“ seine heutige Verlobte Sarah Elena Timpe kennen. Der 29-jährigen Schauspielerin verdankt er auch die großen Glücksgefühle. Wie zum Beispiel in dieser Situation: Über den Dächern von Verona die ebenfalls herrliche Aussicht auf seine leicht bekleidete Freundin genießen, während sie zusammen in einem Whirlpool sitzen und man ihnen Prosecco reicht. Er betont gleichzeitig: „Es sind aber keineswegs nur extravagante Momente, bei denen ich denke: Meine Fresse, jetzt bin ich wirklich der glücklichste Querschnittsgelähmte der Welt.“ Am Ende resümiert Samuel Koch mithilfe eines Offenbarungsverses aus der Bibel: „Tränen trocknen. Schmerzen lindern. Geht auch schon jetzt.“ Das Buch erscheint am 5. Oktober.