Berlin/MönchengladbacH .


Ein halbes Jahr ist es her, dass der Germanwings-Airbus auf seinem Flug 9525 abstürzte. Ein halbes Jahr, in dem sich die Familien, die insgesamt 150 Angehörige verloren haben, mit Fantasien quälen ohne Hoffnung auf echte juristische Aufklärung.

Sie müssen sich die Panik des Chefpiloten vorstellen, als dieser vor der verschlossenen Kabinentür stand. Sie denken an die Angst der Menschen an Bord. Sie fragen sich, was passierte, kurz bevor die Maschine auf ihrem Weg nach Düsseldorf in den Alpen zerschellte. Als sei der Aufarbeitungsprozess der Trauernden nicht schwer genug, müssen diese laut ihrem Anwalt Elmar Giemulla noch Demütigungen vonseiten der Lufthansa ertragen.

„Bislang sieht die Lufthansa vor, jedem sogenannten Hinterbliebenen, was im Ermessen der Lufthansa liegt, wer Hinterbliebener ist, 10.000 Euro zu bezahlen“, sagt Giemulla. Dieser Betrag sei „unverhältnismäßig und beleidigend“. Dabei gehe es den Opferfamilien nicht um das Geld. Der Vater eines Opfers habe zum Beispiel für eine Verletzung am Auge vor Jahren 50.000 Euro Schmerzensgeld von einem deutschen Gericht zugesprochen bekommen. „Wie kann dieser ertragen für sein totes Kind einen Bruchteil dieser Summe zu bekommen“, sagte der Berliner Anwalt dieser Zeitung.

Auch die Festlegung vonseiten der Lufthansa-Anwälte, dass Geschwister, die nicht im selben Haushalt wie der oder die Verstorbene gelebt haben, als Hinterbliebene nur entschädigt würden, wenn sie durch ein psychologisches Gutachten nachweisen könnten, dass sie leiden, sei beschämend.

Giemulla, der 125 Angehörige von 40 Opferfamilien gegen die Lufthansa-Tochter Germanwings vertritt, erklärt: „Theoretisch müssen diese Kinder, auch wenn sie bereits seit Monaten in psychiatrischer Behandlung sind, sich einem Psychologen, der der Lufthansa genehm ist, erneut anvertrauen.“

Ein Germanwings-Sprecher widerspricht den Vorwürfen: „Wir sind daran interessiert, die Schadenersatzfragen schnell zu regeln.“ In einem Fall, so betont der Sprecher, habe man sich schließlich mit den Angehörigen eines deutschen Opfers abschließend geeinigt und bezahlt.

Der Prozess soll in die USA verlegt werden

Schon kurz nach der Tragödie stellte sich heraus, dass der 27-jährige Co-Pilot Andreas L. die A320 absichtlich auf Crashkurs programmiert hatte. Laut den Ermittlern litt dieser an Depressionen, auf die es viele Hinweise gab, doch kein Arzt hat ihm diese bescheinigt. Bei Germanwings oder dem flugmedizinischen Dienst der Lufthansa sind diese Hinweise allerdings bis heute nicht angekommen.

Und darum geht es den Angehörigen, um den Fehler im System. „Ich kann nicht verstehen, wie ein Traditionsunternehmen wie die Lufthansa bei einem solchen historisch einmaligen Fall seine Chance verspielt, angemessen zu handeln. Stattdessen verschleppen sie die Aufarbeitung, fahren eine Politik der kleinen Schritte und machen es den Angehörigen schwer, in Würde zu trauern“, so Opferanwalt Elmar Giemulla.

Er erwäge deshalb, mit seinen Kollegen, laut geltendem internationalen Recht, den Prozess in die USA zu verlegen, um die lückenlose Aufklärung des Falles zu gewährleisten. Der juristische Haken sei, dass vor einem deutschen Gericht der Faktor der Aufklärung nach dem Montrealer Haftungsübereinkommen nicht relevant sei, weil er nichts mit der Entschädigungssumme zu tun habe. „Für meine Mandanten, die Hinterbliebenen Familien, ist es allerdings wichtig, den Fehler im System aufzuklären, sodass aus diesem Unglück ein winziger Sinn entsteht, damit anderen Menschen dieses Schicksal erspart bleibt.“

Auch Anwalt Christof Wellens aus Mönchengladbach, der 32 Familien mit 151 Hinterbliebenen vertritt, erklärte: „Die Lufthansa sagte, sie wolle die Opfer großzügig und schnell entschädigen, doch das Gegenteil ist der Fall.“ Stattdessen setzten deren Anwälte auf eine Zermürbungsstrategie, gegen die Familien, indem sie sie hinhalten oder auf Dritte wie den Staat verweisen.“ Unter anderem seien die Unterhaltsansprüche von zwei Vollwaisen und einer Witwe mit bald zwei kleinen Kindern ungeklärt.

In puncto Flugsicherheit zog die Lufthansa allerdings bereits Konsequenzen. So dürfen Piloten in Europa nicht mehr allein im Cockpit sein. Auch psychologische uns psychatrische Aspekte bei Piloten sollen laut der Europäischen Agentur für Flugsicherheit (EASA) einen höheren Stellenwert bekommen.