Berlin.

Mehr als 1,5 Millionen Menschen in Deutschland leben mit Demenz. Über 60 Prozent davon leiden an einer Demenz vom Typ Alzheimer. Meist sind die Betroffenen älter als 75 Jahre. Gelingt kein Durchbruch in der Therapie, wird ihre Zahl bis 2050 auf drei Millionen ansteigen. Die Angst der Deutschen ist groß: Fast die Hälfte der 30- bis 44-Jährigen befürchtet, im Alter an Demenz zu erkranken. Doch nicht jedes entfallene Wort muss ein Hinweis auf die unheilbare Gedächtniserkrankung sein.

Nicht jede Vergesslichkeit muss eine

Demenz sein.

Wo liegen die Unterschiede?

50 Prozent der Menschen, die sich in einer der 175 deutschen Gedächtnisambulanzen testen lassen, haben Angaben der Deutschen Alzheimer Gesellschaft (DAlzG) zufolge keine Demenz. Ihr Gedächtnis ist aufgrund psychischer Belastungen oder einer Depression beeinträchtigt. „Auch eine Schilddrüsenunterfunktion, ein hoher Blutzuckerspiegel, Flüssigkeits- oder Vitamin B-Mangel können zu Beeinträchtigungen führen“, sagt Synan Al-Hashimy, Chefarzt des Alzheimer-Therapiezentrums Ratzeburg. Darüber hinaus gebe es eine normale Form der Altersvergesslichkeit. Wenn Menschen Namen mal nicht einfallen, müsse das nicht beunruhigen. Kritisch werde es aber, wenn sich die Persönlichkeit verändere oder Erlebtes komplett aus dem Gedächtnis verschwinde. Generell gilt: Das Risiko einer Erkrankung steigt mit dem Alter rasant an. Während 40 Prozent der Betroffenen über 90 Jahre alt sind, gibt es nur 24.000 Patienten in Deutschland, die jünger sind als 65.


Wie bewerten Fachleute die

Vorsorgeuntersuchung via Magnetresonanztomografie (MRT) oder Gentest?

Die Untersuchungen werden von der Krankenkasse nicht bezahlt, sie können mehrere Hundert Euro kosten. Der Medizinische Dienst der Krankenkassen bewertet das MRT zur Früherkennung von schrumpfenden Hirnarealen als „tendenziell negativ“. Auch die DAlzG hält nichts davon, gesunde Menschen auf die Krankheit zu testen. Al-Hashimy sagt: „Es gibt keinen Test, der sichere Aussagen liefert, ob Menschen dement werden. Ich rate davon ab.“

Wieso ist eine frühe Diagnose wichtig?

„Demenz ist ein schleichender Prozess, der über Jahre zunimmt“, sagt Al-Hashimy. In der ersten Phase einer Alzheimer-Demenz können Medikamente das Fortschreiten der Krankheit verzögern. „Es gibt vier Antidementiva, die das Ausmaß einer Demenz hinauszögern, wenn sie anschlagen“, sagt Al-Hashimy. Einen ähnlichen Effekt habe eine von der Universität Erlangen entwickelte MAKS-Therapie, die sehr regelmäßige Bewegung, Gedächtnistraining und Ergotherapie beinhalte. Studien hätten bewiesen, dass MAKS hilft, Fähigkeiten zu erhalten.

„Wir empfehlen die frühe Diagnose vor allem aus Gründen der Selbstbestimmung“, sagt Susanna Saxl, Sozialpädagogin bei der Deutschen Alzheimer Gesellschaft. Die Betroffenen sollten Gelegenheit haben, ihr Leben so lange wie möglich zu gestalten. Dabei gehe es nicht nur um Testamente oder Vorsorgeverfügungen. Saxl: „Menschen können Dinge tun, die sie unbedingt noch tun wollen. Ich kenne einen Mann, der nach der Diagnose angefangen hat, Theater zu spielen. Vorher hatte er nie den Mut dazu.“

Wie läuft eine Untersuchung ab?

„Der erste Weg sollte zum Hausarzt führen“, sagt Susanna Saxl. Der könne Anhaltspunkte für eine Demenz mit Hilfe des Mini-Mental-Status-Tests prüfen. Anschließend kann der Hausarzt an einen Neurologen oder Psychiater überweisen, um eine Magnetresonanz-, Computertomografie (MRT/CT), Bluttests oder eine Untersuchung der Hirnrückenmarkflüssigkeit in die Wege zu leiten. Saxl: „Werden alle diagnostischen Methoden angewandt, gibt es eine 95-prozentige Sicherheit, ob eine Demenz vorliegt.“


Was sollten Angehörige tun, die eine

Demenz bei Menschen befürchten?

Die Deutsche Alzheimer Gesellschaft rät dazu, sich von einer Selbsthilfegruppe oder an einem Infotelefon eine Einschätzung zu holen. Gibt es Hinweise auf eine Erkrankung, sollten Angehörige Betroffene nicht unbedingt direkt darauf ansprechen, weil diese häufig mit Rückzug reagierten. Mitunter helfe auch ein Trick, sagt Susanna Saxl: den Hausarzt ins Bild zu setzen und diesen zu bitten, den Betroffenen einzuladen. „Der Arzt ist für viele Ältere eine Autorität“, so Saxl.

Was ist zu tun, wenn sich Angehörige auf keinen Fall untersuchen lassen wollen?

„Es gibt auch ein Recht auf Nichtwissen oder Verdrängen“, sagt Susanna Saxl. Das Umfeld sollte sich aber schnell beraten und beraten lassen. „Es ist wichtig, sich der Herausforderung zu stellen.“ Und davon auszugehen, dass der Demenzfall eintreten kann. „Pflegende Angehörige von Dementen sind Studien zufolge oft überlastet, sie haben eine um 63 Prozent höhere Sterberate“, sagt Synan Al-Hashimy. Er rät, frühzeitig die Pflege zu organisieren und dabei auch die eigenen Bedürfnisse zu berücksichtigen.