Sufjan Stevens stellt sein sehr persönliches neues Projekt im Mehr! Theater vor

Man hat schon Menschen auf Konzerten von Sufjan Stevens weinen sehen. Manche sind so hinüber von der Schönheit seiner Songs, dass sie ihre Tränen nicht zurückhalten können. Und wiederum andere heulen einfach mit, weil starke Emotionen ansteckend sind.

Das Konzert am 15. September im Mehr! Theater als Katharsis: Im besten Fall funktioniert das auf und vor der Bühne. Der amerikanische Songwriter Sufjan Stevens ist ein großer Zeremonienmeister des sanft dahingehauchten Popsongs. Seine Stücke wirken live noch zerbrechlicher als auf Platte, und wenn er sein Publikum in die Zone des schön klingenden Bewegtseins führt, dann werden die Konzerte zu Sufjan-Stevens-Messen. Stevens, 40, gehört seit Jahren zur ersten Reihe der amerikanischen Songschreiber – neben Mark Kozelek, Ryan Adams, Rufus Wainwright und Bill Callahan.

Unter den Genannten ist er wahrscheinlich der Vielseitigste. Ursprünglich im Folkpop beheimatet und dort mal mit dem Plan in Erscheinung tretend, jedem US-Bundesstaat ein Album zu widmen, wandte sich Stevens zuletzt den Synthesizern zu. „The Age Of Adz“, sein 2010 erschienenes sechstes Album, war in vielerlei Hinsicht ein Experiment, das in die gewaltige Pop-Sinfonie „Impossible Soul“ mündete. Mehr als 25 Minuten mit elektronischem Flimmern, Bläsern, verzerrten Stimmen und Chor: ein Wahnsinnswerk.

Reichlich – fünf Jahre – später erschien dann im Frühjahr endlich der Nachfolger der von der Kritik gefeierten Platte. Er heißt „Carrie & Lowell“ und ist dazu angetan, den Ruhm des Seelenerkunders Stevens noch weiter zu mehren. Erst war es Kozelek, der auf seiner Sun-Kil-Moon-Platte „Benji“ ein unpeinliches Lied namens „I Can’t Live Without My Mother’s Love“ sang – und jetzt der Basecap-Träger Stevens, der seiner Mutter gleich ein ganzes Album widmet.

Carrie starb 2012, und wie Stevens in den Songs über die Beziehung zu dieser meist abwesenden Mutter – er wuchs bei seinem Vater und dessen neuer Frau auf – schreibt, das ist berührend. Die Stücke sind voller Anteilnahme, und doch spürt man immer die Distanz der Fensterscheibe, wie Stevens sie in dem Song „Should Have Known Better“ beschreibt. Die ganze Platte ist eine Meditation über Verletzungen im innersten Zwischenmenschbereich; die Mutter, die ihr Kind im Videoladen zurücklässt, ist die schwierige Frau, die er immer nur besuchsweise sieht: eine unter Depressionen und Schizophrenie-Anfällen leidende Alkoholikerin. Verheiratet war sie mit Lowell Brams, dem zweiten Menschen, den Stevens mit dem Albumtitel ehrt – mit Brams betreibt Stevens das Label Asthmatic Kitty, das seine Platten herausbringt.

„Carrie & Lowell“ ist das traurig-schönste Album des Jahres, ein Folk-Meisterstück mit Gitarren und Klavier. Vielleicht wird es zum Klassiker.

Sufjan Stevens Di 15.9., 20.00, Mehr! Theater
am Großmarkt (Bus M 3), Banksstraße 28, Karten
ab 43,30 im Vorverkauf; www.music.sufjan.com