Werner Herzog entfaltet in seinem Epos „Königin der Wüste“ keine erzählerische Kraft

Hoch aufgerichtet und stolz sitzt die weiße Lady mit Alabaster-Teint und blonden Haaren auf dem Kamel, wippt durch die endlose Weite der Sanddünen. Es ist ein majestätischer Anblick, der augenblicklich Erinnerungen an die kolonialen, epischen Kinoträume von David Lean oder Cecil B. De Mille weckt. Tatsächlich taucht hier irgendwann auch der junge Laurence von Arabien auf, den Robert Pattinson unter dem Gelächter des Berlinale-Publikums wie eine Camp-Version Peter O’Tooles spielt, was man auch erst mal hinkriegen muss.

Wir befinden uns zwar in Lean-Territorium, aber im neuen Film von Werner Herzog, in dem es ausgerechnet Nicole Kidman als erste Frau in sein Universum sperriger Männer geschafft hat. Mit den eigenwilligen, exzentrischen, unbeugsamen Herzog-Helden kann sich ihre Gertrude Belle durchaus messen, ihr unbeirrbarer Pioniergeist macht diese Abenteurerin zum typischen Herzog-Helden. So wie einst Klaus Kinskis Fitzcarraldo ein Schiff über die Berge des Amazonas hievte oder Christian Bales Dieter Dengler sich im Vietnam-Krieg aus der Gefangenschaft der Vietcong befreite, stellt sich jetzt auch Belle dem Unmöglichen. Sie war eine Industriellentochter, die um 1900 aus dem Korsett des britischen Lebens zunächst an die Botschaft in Teheran flüchtete und von dort weiter in die Welt hinauszog, arabisch lernte und sich alsbald furchtlos anschickte, als erste weiße Frau in die unerforschten Stammesgebiete der Beduinen vorzudringen. Durch ihr besonderes Verständnis von der arabischen Stammeskultur trug sie im Umfeld des ersten Weltkrieges als Vermittlerin und Beraterin von Winston Churchill zur Neustrukturierung der arabischen Welt bei. Angesichts der massiven Unruhen in dieser Region hat der Stoff durchaus moderne Brisanz, von der allerdings in diesem Film wenig zu spüren ist.

Es ist zwar eine tolle Geschichte, über eine unabhängige eigensinnige Frau in einer Zeit, in der das alles andere als selbstverständlich war. Ein echter Filmstoff und dazu noch die erste epische Liebesgeschichte im Werk von Herzog. Hat er womöglich, so wie Michael Haneke in „Liebe“, im hohen Alter unerwartet romantische Seiten gefunden? Mitnichten! Die alles verzehrende, große Liebe, die Belle in Teheran mit dem jungen Diplomaten Henry Cadogan erlebt, bleibt hier ebenso blutleere Behauptung wie ihre brennende Leidenschaft für die Wüste und ihre Bewohner. James Franco, der durchaus zu minimalistischem Spiel fähig ist, wirkt hier ähnlich steif und deplatziert wie Pattinson.

In Interviews erzählt Herzog von seiner Faszination für diese eindrucksvolle Frau, für ihre Briefe und Tagebücher, doch im Film findet er dafür keine Bilder. Stattdessen überfrachtet er sein Wüstenepos mit pseudo-spirituellen Off-Erzählungen, hölzernen Dialogen und Klaus Badelts sinfonisch anschwellender Musik und reduziert damit die in Marokko und Jordanien gedrehten, grandiosen Landschaften mit Sanddünen, Salzwüsten und Bergplateaus auf Fototapeten und Reiseprospekte.

Kidmans Gertrude Bell ist eine unnahbare englische Rose, deren Leidenschaften unverständlich und fremd bleiben. Ihre Abenteuer in der arabischen Welt sind wie episodische Perlen auf eine Erzählkette gefädelt, ohne sich schlüssig zu verbinden. Und wenn sie sich mit türkischen Militärs, nomadischen Kriegern und kultivierten Scheichen anlegt, wirkt diese blonde, schöne, stolze, weiße Frau eher blauäugig und fahrlässig als mutig und wegbereitend.

Dass Sonne und Staub auf ihrem makellosen Teint kaum Spuren hinterlassen, kennt man aus den großen Hollywood-Epen, doch am Anfang des 21. Jahrhunderts wirkt das vor allem altmodisch und unrealistisch. Sicher, Herzog schaut mit sehr viel größerer Zärtlichkeit und Wärme auf die arabischen Kulturen als etwa Lean, doch daraus bezieht der Film keine wirkliche Kraft.

Die Regisseure der neuen deutschen Welle, die in den 70er-Jahren Opas Kino ablösten, drehen heute vor allem eindrucksvolle Dokumentationen, tun sich mit dem fiktiven Erzählen aber oft schwer. Seit seinem Remake von James Tobacks Cop-Thriller „Bad Lieutenant“ hat Herzog die Welt dokumentarisch erforscht, etwa in seiner Serie über zum Tode verurteilte Gefangene in US-Gefängnissen und in „Die Höhle der vergessenen Träume“ über die Jahrtausende alten Malereien in der südfranzösischen Chauvet-Höhle. Sein erster Spielfilm nach sechs Jahren Pause ist dagegen nur ein müder Abklatsch.

„Königin der Wüste“ USA 2014, 128 Min.,
ab 12 J., R: Werner Herzog, D: Nicole Kidman, James Franco, Damian Lewis, Robert Pattinson, täglich im Abaton, Blankeneser, Cinemaxx Dammtor, Koralle, Passage, UCI Mundsburg und Zeise-Kino;
www.koenigin-der-wueste.de