Wedel. Früher führten die Fahrten Edgar Baumgarten bis nach Afrika. Heute steuert er die Luhe-Schülau-Fähre – und genießt den Acht-Stunden-Tag auf der Elbe

Wie eine Unwetterfront schiebt sich die „Hyundai Smart“ die Elbe hinauf Richtung Willkomm Höft in Wedel: 366 Meter lang, 48 Meter breit und gute 100.000 PS stark. Rund 10.000 bunte Container hat das Ungetüm heute geladen, gefüllt mit Fernsehern, Möbeln und Kleidung aus Asien. Für Europa. Edgar Baumgarten, 58, tritt in die Nock. „Ganz schön dicker Pott“, sagt der Kapitän und lässt seinen Blick über die Wand aus Containern schweifen. Sein Schiff – „Dat Ole Land II“ – ist mit 35 Meter Länge eine Nussschale gegen die „Hyundai Smart“, und statt bunter Boxen nimmt sie Leute mit bunten Windjacken und ihren Fahrrädern an Bord, die einen Ausflug rüber ins Alte Land machen wollen.

„Meine Fracht heute ist noch viel kostbarer als damals“, erzählt Edgar Baumgarten und nimmt seinen Platz auf der Brücke der Fähre ein. 20 Minuten wird die Tour quer über die Elbe dauern. Damals, das ist sechs Jahre her: Bis dahin war Baumgarten als Kapitän auf mittlerer Fahrt über Monate unterwegs und steuerte mit seinen Frachtern Ägypten, Italien, England und Schweden an. Angefangen hatte alles 1974 auf einem Kümo.

Die kleine Fähre legt vom Anleger Schulau ab und tänzelt wie eine Nussschale auf dem Schwell der „Hyundai Smart“, auf die im Hamburger Hafen schon die Festmacher warten. Es waren vor allem praktische Gründe, erzählt Edgar Baumgarten, die ihn dazu bewogen, 2009 auf die Fähre zu wechseln. „Ich bin hier acht Stunden an Bord und kann meinen Feierabend zu Hause genießen. Dafür verdiene ich allerdings auch weniger.“ Sein Zuhause, das ist Drochtersen in Kehdingen. Dort ist Edgar Baumgarten, Vater eines Sohnes, fest verwurzelt. Ist im örtlichen Schützenverein, schwört auf gute Nachbarschaft und engagiert sich, wenn es darum geht, alte, ausrangierte Schiffe zu erhalten. „Was mich am meisten genervt hat an der Frachtschifffahrt war der ganze Papierkram. Vor allem nach den Anschlägen vom 11. September in New York. Und dann die vielen Leute, die einem von Land reinreden,“ sagt Baumgarten – zur großen Freude der Fahrgäste ein recht unterhaltsames Dirk-Bach-Double – und steuert die kleine Fähre mit ihren zwei 500-PS-Motoren quer über die Elbe.

Fährmeister Bernd Meyer kommt auf die Brücke. Hat längst von allen Fahrgästen die zehn Euro für die Hin- und Rückfahrt kassiert, die Fahrräder sortiert und auch sonst jede Frage der 70 Passagiere beantwortet. Maximal passen 250 auf die Fähre, „typische Tage dafür sind Pfingsten und Vatertag“, weiß Bernd Meyer. Pro Schicht sind immer zwei Mann an Bord, auch der Kapitän räumt Müll weg, füllt den Getränkeautomaten nach und schaut nach der Maschine, wenn er nicht gerade auf der Brücke steht.

Ob das Revier auf der Elbe nicht viel zu anspruchslos für einen so erfahrenen Kapitän ist? „Man soll das nie unterschätzen. Das Revier ist vielleicht von der geologischen Beschaffenheit deutlich leichter zu fahren als oben in den schwedischen Schären. Aber wir müssen hier große Containerschiffe in der Fahrrinne kreuzen und haben es mit Seglern und Motorbooten zu tun. Da muss man höllisch aufpassen“, sagt Edgar Baumgarten. Oft nimmt er Funkkontakt zu den Kapitänen der dicken Pötte auf und stimmt sich ab, ob die kleine Nussschale noch schnell durchfahren kann oder nicht. Vor allem bei Nebel. „Wir sind natürlich viel wendiger und haben einen kürzeren Bremsweg als die Riesen.“

Manchmal vermisst der Kapitän das Abenteuer und die großen Reisen

Anlegemanöver am Ponton in Lühe, der Geruch von Currywurst-Pommes mischt sich mit dem süßlich-fischigen der Elbe. Auch hier: Vorsicht. „Schifffahrt ist niemals gleich und Anlegen schon gar nicht“, warnt Edgar Baumgarten, während Bernd Meyer schon auf dem Sprung ist, die Fähre festzumachen. Der Kapitän geht von der Brücke und ruft seinem Helfer zu: „Böööörnichen. Ich geh mal eben runter.“ In Lühe ist also Zeit für eine kurze Pause. Bernd Meyer macht den Sauberkeitscheck auf dem Unterdeck, und Kapitän Baumgarten zeigt stolz die Maschine des 2012 gebauten Schiffes.

Auch die ist natürlich ein paar Nummern kleiner als bei Containerriesen wie der „Hyundai Smart“, wo das Kraftwerk schnell die Größe eines Einfamilienhauses erreicht und eine Kleinstadt mit Energie versorgen könnte.

„Natürlich vermisse ich manchmal das Abenteuer und die Reisen in fremde Länder. Vor allem Häfen in Dänemark und England bin ich sehr gerne angelaufen. Dort waren die Menschen unheimlich freundlich und aufgeschlossen. Aber tauschen möchte ich nicht mehr“, sagt Edgar Baumgarten und steigt die Treppe zur Brücke hinauf. Ein paar Stunden später – die „Hyundai Smart“, das fahrende Kaufhaus für Europa, das wie die anderen stählernen Ungetüme die Menschen täglich an die Elbe lockt – wird längst im Hamburger Hafen gelöscht. Viel Zeit bleibt heutzutage nicht für die Crew, um an Land zu gehen.

Edgar Baumgarten hingegen hat Feierabend, legt in Kehdingen die Beine hoch und sieht noch ein wenig fern. Schon morgen wird er dem frisch beladenen, dicken Pott von seiner Nussschale aus „Goodbye“ sagen.