Im Hesse-Diederichsen-Heim bieten zwei Künstlerinnen spannende Jahresprojekte an. Sie helfen den Bewohnern, sich in der Einrichtung wohlzufühlen.

Aus dem Aufenthaltsraum des Hesse-Diederichsen-Heims kommen ungewöhnliche Laute. Senioren sitzen an einem großen Arbeitstisch und artikulieren einzelne Wörter. „Wie könnte die Farbe weiß klingen?“, fragt Künstlerin Christiane Hauch in die Runde. Vielleicht so? Sie stimmt in einer Mischung aus Sprechen und Singen das Wort „Weiß“ an. Die Damen und Herren neben ihr stimmen ein. Auf spielerische Weise nähern sie sich dem Ausdruck von Klängen und Farben. Die Senioren sind Mitglieder des sogenannten Balladenensembles, und was sie tun, gehört zur Arbeit an ihrem diesjährigem Kunstprojekt „Hast Du Töne“.

Künstlerisches Arbeiten ist in dem Barmbeker Alten- und Pflegeheim ein regelmäßiges Angebot. Im ganzen Haus hängen Bilder, die von Bewohnern gemalt wurden. Von kleinen Studien bis zu großen Gemälden reicht das Spektrum. Sie stammen aus den fortlaufenden Jahresprojekten, die die Künstlerinnen Christiane Hauch und Diana Henschel seit 2005 anbieten. In bildnerischer, musikalischer, sprachlicher oder darstellerischer Form nähern sie sich dem Thema, experimentieren mit ihm, Vorkenntnisse muss niemand haben, nur die Lust auf einen künstlerischen Prozess. Die Künstlerinnen empfinden sich dabei nicht als Lehrerinnen, die Schüler im Malen anleiten, sondern eher als Regisseure, die mit einem Ensemble zusammenarbeiten, erklärt Christiane Hauch. „In Sachen Kunst sehen wir uns als Verbündete.“

Sie und ihre Kollegin sorgen innerhalb der Projekte auch für Begegnungen mit Künstlern von außen und stellen gemeinsam mit den Beteiligten zum Ende des Jahresprojektes ein Buch und je nach Thema ein Hörstück oder eine Ausstellung auf die Beine. Fünf Bücher mit anrührenden Bildern, Texten und Fotografien sind schon entstanden. Seit 2008 beteiligen sich auch die Kinder des benachbarten Kindergartens
St. Bonifatius regelmäßig am laufenden Kunstprojekt.

„Wir machen Kunst auf ganz verschiedenen Ebenen und jeder kann mit einschwingen“, sagt Christiane Hauch. So begann auch Reinhold Schlör, der seit vier Jahren hier lebt. „Zu Anfang ging es mir schlecht, ich kam direkt aus dem Krankenhaus ins Pflegeheim“, sagt der 79-Jährige. Dann, nach etwa einem halben Jahr, sprach ihn Christiane Hauch an, ob er malen wollte. „Ich hatte früher gern Gedichte geschrieben, malen wollte ich erst gar nicht“, sagt Reinhold Schlör. Dann entdeckte er das Kolorieren für sich. Einige Mappen mit ausgemalten Bögen hat er schon angelegt. Stolz zeigt er Nachdrucke von japanischen Holzschnitten, die er geduldig mit harmonisch aufeinander abgestimmten Farben gestaltet hat. „Diese Arbeit hat mich wieder hochgebracht“, sagt der freundliche Mann. Viele hätten seine Auswahl der Farben gelobt, das habe ihn sehr gefreut, so Schlör. Mittlerweile hat er sich so gut eingelebt, dass er in den Wohnbeirat gewählt wurde.

„In ein Pflegeheim zu gehen ist eine große Umstellung“, weiß Heimleiter Ronald Wilm-Zielinski. Oft herrsche die Vorstellung: „Ich muss jetzt ins Heim, also kann ich nichts mehr.“ Doch besonders so ein längerfristiges Projekt könne vermitteln, dass es nicht das Ende, sondern eine neue Chance sein kann. „Wir schauen neben den gesundheitlichen Aspekten auch, mit welchen Ressourcen die Menschen zu uns kommen“, so Wilm-Zielinski. Die Einrichtung bietet neben dem künstlerischen Projekt auch viele soziale und kulturelle Angebote. „Man muss den Menschen Zeit lassen, erst einmal anzukommen und sich alles anzuschauen“, so der gelernte Altenpfleger.

Auch Hildegard Erika Paulsen, 75, die in jungen Jahren Kunst studiert hat, zögerte etwas, kam dann aber in die Mittwochsgruppe. „Das Projekt hat sehr dazu beigetragen, dass ich mich hier zu Hause fühle“, sagt sie inzwischen. Sie begegnete anderen Bewohnern wie Frieda Grasenick, 89, die auf einem Bauernhof groß geworden ist und hier ihr erstes Bild gemalt hat. „Ich kann das nicht“, hatte sie gesagt, als Christiane Hauch sie einlud, mitzumachen. „In der Begegnung mit den anderen Bewohnern, wie auch mit den Kindern, in der Inspiration, die man dadurch erfährt, kann man sich selbst auch anders kennenlernen“, sagt Christiane Hauch. Dabei kommt es der Künstlerin mit den Schwerpunkten Schauspiel, Sprachkunst und Kunstpädagogik nicht auf ein perfektes Ergebnis an, sondern auf das gemeinsame Arbeiten an einer Sache, „aus der etwas Neues entsteht“, so Hauch.

Die Ergebnisse der Projektarbeit finden sich im Hause wieder. So entstanden für das letzte Projekt „Schau mich an“, viele selbst gemalte Porträts, die die Räume weiterhin gestalten. Für das gleichnamige Buch wählte das Ensemble Porträts aus, zu denen Lyriker und Prosaautoren poetische Texte schrieben. „Das ist toll, was da an Assoziationen zurückkam“, sagt Reinhold Schlör begeistert, der einige der Porträts kolorierte.

Für das gegenwärtige Projekt knüpft Christiane Hauch gerade Kontakte. Sie möchte den Chor, der regelmäßig im Hesse-Diederichsen-Heim probt, ins Projekt einbeziehen. Nach der Findungsphase in dem Balladen- und dem Atelierensemble, das zwischenzeitlich zur Schreibwerkstatt wurde, soll nun zum Ende des Jahres ein selbstverfasstes Life-Hörstück entstehen – und das Haus wieder mit neuer Kunst erfüllen.