Im Atelier Freistil gestalten Menschen mit unterschiedlichen Handicaps kreative Bilder. Einige werden im Lindner Park-Hotel ausgestellt. Von Ann-Britt Petersen

Manuel Llobera-Capella liebt starke Farbkontraste. Auf den Bildern, die er malt, leuchten seine Motive in kräftigen roten, blauen oder grünen Tönen. Aber wichtig ist ihm auch der „schwarze Strich“, der die Flächen klar trennt, so erklärt er. Manuel Llobera-Capella ist Künstler. Und er ist körperlich behindert. Seit 2010 ist der 24-Jährige im Atelier Freistil beschäftigt. „Schon im Kindergarten habe ich gern gemalt, in der Schulzeit kam es dann richtig aus mir heraus“, sagt Manuel. Nach dem Abschluss der Förderschule und einer Übergangszeit in einer Tagesförderstätte begann er seine Arbeit im Atelier Freistil.

In der Ateliergemeinschaft arbeiten 37 Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen. „Seit seiner Gründung 2009 wird das Atelier gemeinsam von den Elbe-Werkstätten und dem Verein ,Leben mit Behinderung‘ getragen“, sagt Claudia Evers, Leiterin des Ateliers Freistil. Der Verein „Leben mit Behinderung“ betreut in Hamburg unter anderem diverse Tagesförderstätten für Menschen mit schweren Einschränkungen.

Ebenso wie in den Werkstätten für Menschen mit Behinderung, werden auch in den Tagesstätten verschiedene Arbeitsplätze angeboten. Doch Behinderte, die wie Manuel eine Neigung zum Malen verspüren, können statt in den Werkstätten oder der Tagesstätte auch im Atelier Freistil eine Beschäftigung finden.

„Es wendet sich an diejenigen, die das Bedürfnis haben, sich künstlerisch ausdrücken zu wollen“, sagt Erzieherin Eike Hansen. Gemeinsam mit Kunstpädagogin Bettina Schiel gründete sie das Atelier. Zuvor hatte sie mehrere Kunstprojekte an einer Tagesförderstätte geleitet. Dort beteiligten sich viele Talente, die erfolgreich ihre Bilder ausstellten. „Wir hatten bald keinen Platz mehr und beschlossen, wir brauchen ein Atelier“, sagt die 58-Jährige. Als Ort bot sich ein Gebäude auf dem Gelände der Elbe Werkstätten in Harburg an.

Das Atelier erstreckt sich über eine ganze Etage. In den großen hellen Arbeitsräumen sind die Tische voll mit Blöcken, Pinseln und Farben aller Art. Bilder und Zeichnungen hängen an jeder freien Ecke. An einer längeren Wand reihen sich Skizzen von Gesichtern aneinander. Die stilistische Vielfalt der Studien reicht dabei von naturalistisch bis abstrakt. Die Skizzen stammen aus dem wöchentlichen Zeichenkurs in der Gruppe. Hier zeichnen sich die Künstler gegenseitig. „Das dient dazu, Fertigkeiten zu fördern, und übt, sich auf ein Motiv zu konzentrieren“, erklärt Eike Hansen.

Ansonsten sind die hier beschäftigten Künstler frei in ihrer Malweise. Jeder Künstler wird darin gefördert, seinen eigenen Stil zu entwickeln, sagt Claudia Evers. Und so malt jeder das, was ihm liegt. Gabriele Radecki arbeitet gerade an einem Aquarellbild mit Pferden im Grünen. „Ich bin schon immer gern geritten“, sagt die 53-Jährige. Sie freut sich stets auf die Reittherapie einmal die Woche. Der Umgang mit Pferden erinnert sie aber auch an ihr früheres ereignisreiches Leben mit Familie und Beruf. Das selbstständige Leben der früheren Sekretärin endete abrupt, als sie einen Schlaganfall erlitt, der motorische und sprachliche Einschränkungen zur Folge hatte. Trotz allem drücken ihre Bilder Lebendigkeit aus, auch wenn ihre Figuren manchmal ein wenig zerbrechlich wirken. Ganz anders malt Andrea Leibrock. Sie grundiert ihre Bilder mit sattem Blau oder Grün. Darauf setzt sie dann in ihrem eigenen Tempo Strich für Strich, bis daraus fast flauschig anmutende Tiermotive entstehen. „Ganz vertieft arbeitet sie an ihren Bildern, bis am Schluss ein Motiv erkennbar wird“, sagt Kunsttherapeutin Luzia Markl. Farben und Motiv machen es unverwechselbar zu ihrem Bild. So wie bei ihr, kann man „bei vielen Bildern sofort erkennen, von wem sie gemalt wurden“, sagt Luzia Markl.

Auch die Wahl des Materials ist individuell. Beliebt sind Arbeiten aus Ton und Holz oder Linoldrucke. Olaf März, 59, steht mit Grafiker Peter Hübner an der Druckpresse. Für eine Ausstellung, die demnächst im Lindner Park-Hotel Hagenbeck eröffnet wird, hat er Linolschnitte mit Tiermotiven angefertigt. „Ich benutze auch gern Wachsmalstifte und verarbeite in meinen Bildern eigene Erlebnisse“, sagt er und zeigt auf ein Bild, das eine fast surreale Szene auf einer Autobahn zeigt. Es entstand aus einer Kindheitserinnerung, bei dem es auf einer Autobahnfahrt fast zum Unfall zwischen dem Auto seiner Eltern und einem Lastwagen gekommen wäre.

Um Motive zu finden, orientieren sich die Künstler auch an ihren Lieblingsmalern. So hat Melanie Brockmann eine Vorliebe „für Van Gogh und seine Landschaften“, sagt die 30-Jährige, die aufgrund einer körperlichen Behinderung im Rollstuhl sitzt. Marcus Klein, 33, fertigt gerade ein Bild nach der Vorlage des expressionistischen Malers Ernst Ludwig Kirchner. „Ich versuche, ihn auf meine Art zu interpretieren“, sagt der ausgebildete Schlosser. Er hatte das Malen in einer psychiatrischen Klinik für sich entdeckt, wo er wegen einer schizophrenen Psychose behandelt wurde. Seit mehr als zwei Jahren ist er im Atelier Freistil dabei. „Ich freue mich jeden Morgen auf die Arbeit und auf die Menschen hier“, sagt er.

Neben der Förderung der Talente ist ein wesentliches Ziel des Ateliers auch die Inklusion der Künstler. So werden im Atelier Workshops von Hamburger Künstlern angeboten, bei denen auch Außenstehende mitmachen können. „Damit wirkt das Atelier auch in den Stadtteil hinein“, sagt Claudia Evers. Ein weiteres Mittel sind Ausstellungen sowie Kooperationsprojekte. So haben die Freistil-Künstler Motive für eine Tassen-Serie gestaltet, die eine IT-Firma als Präsente für ihre Geschäftskunden in Auftrag gegeben hatte. „Mit diesen hochwertig produzierten Tassen wird die Arbeit der Künstler wertgeschätzt“, sagt Claudia Evers. In einem jüngsten Kunstprojekt mit einem Graffiti- und einem Fotokünstler gestalteten die Atelier-Künstler gemeinsam die Fläche eines Lkw-Anhängers. Mit dem Fahrzeug wird ihre Kunst in die Welt getragen. Damit wird einmal mehr sichtbar, was für die Freistiler längst selbstverständlich ist: „Die künstlerische Begabung kennt keine Behinderung“, sagt Eike Hansen.

Ausstellung: Lindner Park-Hotel Hagenbeck, Foyer, Hagenbeckstr. 150. Eröffnung 2.4., 14 Uhr mit Künstlern. Bis 18.5. Weitere Infos: www.atelier-freistil.de