Zwei Hamburger Tüftler bringen Wirsing-Chips auf den Markt. Der gesunde Snack erobert die Supermärkte in Rekordzeit. Weitere Knabbersachen aus Gemüse sind bei den jungen Erfindern in Planung.

Hamburg. In der Luft liegt ein süßlicher Duft. Mit flinken Fingern zerteilt Aryan Moghaddam, 26, den Wirsingkopf und wirft das zarte Grün in eine Plastikwanne. „Wir nehmen nur die Blätter, der Strunk ist zu hart“, beschreibt der Gründer der Firma Heimatgut einen der Tricks der Rezeptur, als er das Gemüse in der Fabrikhalle für die nächsten Arbeitsschritte vorbereitet. Nach der aufwendigen Zupferei nehmen die Wirsingfetzen ein Bad in der Waschmaschine, dann wirbeln sie gemeinsam mit Aromaträgern wie Zwiebeln, Paprika und Salz ein paar Sekunden in einem Mischer.

Jetzt kommt die Kür: die faltigen Blätter werden mit einer feinen Puderschicht der pikanten Marinade bedeckt auf Rosten in den Trockner geschoben. Im Bauch der Edelstahlmaschine liegt dann das Geheimnis des Genusses. „Das ist das Herzstück der Produktion“, sagt Moghaddams Kompagnon Maurice Fischer, 27, über den Apparat mit einem Schild „Big Bertha“, denn die beiden Tüftler haben jede ihrer Maschinen liebevoll mit einem Namen bedacht. Mehr als 20 Stunden werden die Wirsingblätter jetzt in der Riesen-Heizung gedörrt. Auch wenn die Produktion bei Heimatgut ein wenig an einen Besuch in der Wäscherei erinnert – in der kleinen Fabrik, versteckt im schummrigen Souterrain eines Harburger Gewerbehofs, erleben Besucher gerade die Entstehung einer der ungewöhnlichsten Lebensmittelerfindungen der vergangenen Jahre: Denn am nächsten Tag hat sich der wabbelig-wässrige Wirsing in der „Big Bertha“ in einen knusprigen Chip verwandelt. Der Trockner hat bei rund 50 Grad Celsius ganze Arbeit geleistet, 99 Prozent der Flüssigkeit sind verdampft, die Vitamine aber überleben bei den Temperaturen. Jetzt kracht der Kohl zwischen den Kiefern, er schmeckt salzig, herzhaft, ziemlich gut. Die Chips sind schön knusprig, ganz ohne Frittieren oder Backen.

Gesunder Ersatz für Kartoffelchips

„Wir wollten den gesunden Ersatz für den Klassiker, Wirsing statt Kartoffelchips“, beschreibt Aryan Moghaddam die Idee hinter dem neuen Snack, der zudem als glutenfreies und veganes Lebensmittel dem neuen Ernährungstrend entspricht: Nachdem sich in den USA schon seit Jahren Hollywoodstars wie Natalie Portman oder Gwyneth Paltrow dem Leben ohne Tierprodukte verschrieben haben, sollen auch in Deutschland bereits bis zu 800.000 Menschen vegan leben. Mit dem Markennamen Heimatgut verweisen die Gründer zudem auf ein regionales Produkt, denn der Wirsing kommt zumindest in der Saison aus dem Norden, außerhalb der hiesigen Erntezeit kauft das Unternehmen allerdings auch in Süddeutschland ein.

Die Innovation erweist sich mit ihren Bezügen zu den Wachstumsthemen Regionalität und gesunde Ernährung als glückliche Marktlücke: Kaum waren die ersten Wirsingchips-Prototypen entwickelt, trudelten die Bestellungen bei Moghaddam und Fischer ein. „Wir konnten gar nicht so schnell die Produktion ausbauen, wie die Lieferwünsche eingingen“, freut sich Fischer.

Die beiden Hamburger sind weder Lebensmitteltechniker noch Köche. Ihren Erfolg haben sie stattdessen ihrer Idee eines völlig neuartigen Snacks zu verdanken und ihrer Geduld. „Wir haben anfangs in der Küche mit Karotten, Spinat oder Zucchini experimentiert, bis wir auf den Wirsing gestoßen sind“, sagt Fischer, der schon als Kind für seine Eltern gekocht hat und bis heute gerne am Herd steht. Nach der Suche nach dem geeigneten Gemüse, das die kohlenhydratreiche Kartoffel ersetzen sollte, kam die Herausforderung, die Produktion aufzubauen. Die Maschinen waren noch nie zur Trocknung von Wirsing eingesetzt worden, die Unternehmer mussten also mit der Anschaffung ins kalte Wasser springen – und allein der Dörr-Automat kostet mehr als 10.000 Euro. „Es hat uns schlaflose Nächte gekostet, bis wir die Apparate so eingestellt hatten, dass die Produkte genießbar waren“, erinnert sich Fischer an die Anfänge.

Heute finden die Kunden die Heimatgut-Chips (für rund 2,99 Euro) bereits in Dutzenden Supermärkten in ganz Deutschland. Edeka-Märkte wie Niemerszein und Böcker in Winterhude, auf der Uhlenhorst oder in der Hafencity verkaufen die Chips genau so wie Reformhäuser oder der vegane Supermarkt „Veganz“ in Altona. Auch in Lüneburg, Berlin oder auf Sylt haben es die Knabbereien in die Regale der Läden geschafft, außerdem berichteten bereits die „Brigitte“, „Bild der Frau“ oder „Bravo-Girl“ über die Hanseaten.

Es soll nicht nur beim Wirsing bleiben

Auch wenn die beiden Unternehmer mit ihren Wirsingchips bereits ein ganz neues Lebensmittel erfunden haben – bei den Kohlblättern, mit denen die Firma im nächsten Jahr auf einen Umsatz von 500.000 Euro kommen will und auch Exporte ins Ausland anstrebt, soll es nicht bleiben. Die nächste Idee der beiden Akademiker, die zum Studium nach London gezogen waren, liegt schon in der Schublade: „Wir wollen die besten Snacks aus aller Welt anbieten“, sagt Moghaddam, dessen Eltern aus dem Iran stammen.

Geröstete Maiskörner, wie sie in Spanien in jeder Bar am Tresen geknabbert werden und Produkte mit Granatapfelkernen wollen die jungen Männer als nächstes auf den Markt bringen. Apropos Markt: Auf Hamburger Wochenmärkten sehen die Unternehmer ihr Testpublikum. „Das Feedback der Kunden ist fantastisch, große Konzerne leisten sich teure Marktforschung, aber wir sprechen selber mit den Leuten“, schwärmt Fischer über den Stand von Heimatgut auf dem Isemarkt. Die Gründer lassen sich gern inspirieren. Wer den beiden demnächst auf dem renommierten Markt unter den Bahngleisen eine neue Snack-Idee vorschlägt, findet die Knabberei möglicherweise schon bald im Supermarktregal.