In einer Kreuzberger Schule haben afrikanische Flüchtlinge über Tage der Polizei ebenso wie der Politik getrotzt. Es war ein Kampf der Kulturen. Der Kompromiss lautet am Ende: Wir bleiben drin.

Eine aufgeräumte Stimmung herrscht in der Kampfzone in Berlin-Kreuzberg. Nicht dass die besetzte Schule schon aufgeräumt wäre, sie ist noch immer in der Hand des harten Kerns ihrer Besetzer. Auf dem Schulhof liegen ein Haufen Stühle, ein Kochtopf, alles Mögliche. Aber die Atmosphäre ist anders als an den Tagen davor. Nicht mehr so aufgeheizt. Die Kämpfer chillen.

Sie liegen auf der gesperrten Reichenberger Straße, dösen in der Sonne. Hören Musik, trinken ein Bier. Lassen sich massieren. Auf der ambulanten Massagebank liegt ein Typ im schwarzen Kapuzenpulli, die Masseurin arbeitet sich an seinen tätowierten Prachtwaden ab. Ein blonder Rastamann diskutiert mit einem jungen Polizisten Details des Asylrechts.

Leichte Momente, die man in den vergangenen Tagen noch für unmöglich gehalten hätte. Die Polizeisperren stehen noch genauso weiträumig um die Schule herum wie seit über einer Woche, aber manch einer tritt jetzt herzu, nicht um den Polizisten dahinter Schmähungen an den Kopf zu werfen – nein, er oder sie möchte sich einfach mal aussprechen.

Kampftage sind Festtage in Kreuzberg

Die junge Frau etwa, die gerade auf drei Polizisten einredet, hat etwas auf dem Herzen, es hat mit den Hippies zu tun, mit dem Islam und manch anderem. „Alle Frauen umbringen, und fünf Männer beherrschen die Welt, na super!“, ruft sie abschließend, steigt aufs Rad und fährt davon, neuen Abenteuern entgegen.

Die Polizisten aus Niedersachsen folgen ihr mit großen Augen, so was kennen sie aus Lüneburg nicht. Kampftage sind Festtage in Kreuzberg, das war immer so. Der Ausnahmezustand liefert dem Kiezgedächtnis die heroischen Bilder, die bleiben. Die am nächsten revolutionären 1. Mai auf die Plakate gedruckt werden: Junger Kämpfer vor brennender Straße, die Faust gereckt.

Er liefert die Geschichten, die sich Grauschöpfe noch lange danach an der Bar erzählen: Weißt du noch, als wir die Polizeiwanne schaukelten? Als der Supermarkt brannte? Als wir den Getränkemarkt plünderten? Der Straßenkampf kennt auch schöne Stunden, genau wie der richtige Krieg – die Pausen zwischen den Gefechten, das Feiern mit den Kameraden auf besetzten Schlössern oder besetzten Straßenkreuzungen. So wie jetzt an der Reichenberger, Ecke Ohlauer Straße.

Besetzer beraten, Politiker warten

Drinnen in der Schule ist es ganz still, seit Stunden schon. Kein Reggae mehr, keine Parolen vom Dach. Drinnen wird zäh verhandelt. Von Ferne sieht man die Parlamentäre des Bezirks Kreuzberg im Schulhof auf und ab gehen. Die Grünen-Politiker Christian Ströbele und Canan Bayram und Hakan Tas von der Linken.

Sie warten auf ein Zeichen aus der Festung – irgendwo dort drinnen, auf einer oberen Etage ihrer besetzten Schule, beraten die Besetzer den angebotenen Kompromiss. Stunden vergehen, der Tag vergeht, so langsam dämmert der Abend. Ströbele kommt kurz zum Schultor und bestätigt, man warte auf eine Antwort der anderen Seite.

Auf dem Dach hängt noch das Transparent der Flüchtlinge: „our home – against your system“. Jetzt kommt einer von ihnen ans Schultor. Fragen prasseln auf ihn ein. Gibt es eine Einigung? Habt ihr Angst vor der Polizei? „Angst vor der Polizei? Ich bin aus dem Sudan, aus Darfur. Ich habe genug Leute sterben sehen, das ist keine große Sache für mich. Nein, ich fürchte die deutsche Polizei nicht.“

„Wir wollen das Bleiberecht“

Die Polizei sei von der Politik gesteuert. „Und wir sind eine politische Bewegung, wir führen einen politischen Kampf. Sie können uns nicht zwingen, in ein Lager zu gehen.“ Lager, so nennen er und andere Aktivisten die ihnen angebotenen legalen Unterkünfte für Flüchtlinge und Asylbewerber – die große Mehrheit der Schulbesetzer hat dieses Angebot akzeptiert und ist umgezogen.

Um was genau wird denn verhandelt? „Um einen legalen Status für uns. Die Schule hier ist das Zentrum unseren Kampfes, wir wollen drin bleiben.“ Wie viele sind denn noch drin? „Das weiß ich nicht. Es ist ein großes Gebäude, ich weiß nicht, wer noch alles wo ist.“

Adam – so nennt sich der Mann aus Darfur – tritt selbstbewusst auf und formuliert scharf. Ein Kämpfer, kein Bittsteller. Einige seien so verzweifelt, so viele Jahre schon auf der Flucht, sagt er, dass sie vom Dach springen würden, wenn geräumt werde. „Wir wollen das Bleiberecht in Deutschland, jedes Angebot darunter ist ein schlechtes Angebot. Wir versuchen, eine Lösung zu finden.“

Politik als Kampf, nicht Regelwerk

Scharf und selbstbewusst ist auch sein Begriff von Politik. Politik ist ein Kampf, an dessen Ende das Kampfziel möglichst erreicht wird. Nicht etwa ein Regelwerk, das Kompromisse gebiert. Recht ist das eigene Recht, das es in diesem Kampf zu erringen gilt. Nicht ein bestehender Zustand, in dem es mit Recht und Gesetz zugeht. Und der Tod ist Ultima Ratio in diesem Kampf. Ist meine Lage so verzweifelt, kann mich der Tod nicht schrecken, ich habe zu viele Tote gesehen.

Neulich marschierten Flüchtlinge von Straßburg nach Brüssel. Dort wurde einer von ihnen interviewt, er sagte sinngemäß: „Wir sind durch euer Land gelaufen. Wir haben gesehen, wie leer euer Land ist. Wie alt ihr seid. Wir kommen aus Afrika. Wir sind jung.“ Es war der kühle Blick aus der Wüste auf ein fruchtbares, reiches Land, dem der Mann Ausdruck gab. Diese Kräfte haben auch in Berlin miteinander gerungen. Afrikanische Härte gegen europäische Altersweichheit. Adam gegen Ströbele.

Nach 572 Tagen Besetzung endet das Ringen um die Schule in Kreuzberg mit dem Kompromiss: Wir bleiben drin.