Wissenschaftler lassen Zwillinge Schulaufgaben lösen und vergleichen die Ergebnisse mit genetischen Daten der Kinder. Zum Teil steuern dieselben Gene das Lese- und Mathematiktalent

Die Fähigkeiten des Lesens und Rechnens beruhen offenbar zu einem großen Teil auf gemeinsamen genetischen Grundlagen. Etwa die Hälfte der Gene, die bestimmen, wie gut ein Kind lesen kann, beeinflusst auch die Begabung dieses Kindes für die Mathematik. Das hat eine internationale Gruppe von Wissenschaftlern in einer umfangreichen Studie herausgefunden.

Einzelne Gene für die Lese- oder Rechenbegabung konnten die Forscher um Oliver Davis vom University College London allerdings bisher nicht identifizieren, wie sie im Fachblatt „Nature Communications“ berichten.

Bekannt war, dass sowohl Dyslexie, also Lese-Rechtschreib-Schwäche, als auch Dyskalkulie, gemeint sind Probleme beim Rechnen, genetische Komponenten haben.

Tests an 3000 Zwillingskindern

“Diese Schwierigkeiten betreffen in englischsprachigen Ländern mehr als zehn Prozent der Bevölkerung, wobei nicht diagnostizierte Probleme die Volkswirtschaften jährlich Milliarden Dollar kosten, zusätzlich zu den weniger bekannten Kosten für die verpassten Chancen von Menschen“, schreiben die Forscher.

Um die genetischen Zusammenhänge zu prüfen, ließen die Wissenschaftler zunächst Zwillingskinder aus 2800 britischen Familien einige Aufgaben aus dem nationalen Lehrplan lösen. Die Kinder waren zwölf Jahre alt. Sie lösten Matheaufgaben, außerdem prüften die Forscher, wie viel die Kinder nach dem Lesen eines Textes im Kopf behielten.

Die Resultate glichen sie mit rund 1,6 Millionen Genmarkern ab. Die stärksten Hinweise auf einen Zusammenhang prüften sie dann erneut an mehr als 2100 weiteren Menschen.

Leseschwäche wird zu 66 Prozent vererbt

Starke Zusammenhänge mit einzelnen Genvarianten fanden sie nicht. Dies erklären sie damit, dass Lesen und Rechnen auf dem Zusammenspiel vieler verschiedener Erbfaktoren beruhen. Allerdings bestätigten sie Resultate früherer Studien, denen zufolge das Gen DCDC2 eine Rolle spielt, das vermutlich zur Entwicklung von Nervenzellen beiträgt.

Allerdings ergaben Tests einen großen Zusammenhang zwischen Lese- und Rechenvermögen.

Anhand der Unterschiede von ein- und zweieiigen Zwillingen kalkulierten die Forscher dann den Beitrag genetischer Komponenten. Demnach liegt die Vererbbarkeit bei einer Leseschwäche bei etwa 66 Prozent. Zu zwei Dritteln beruht eine Leseschwäche also auf erblichen Einflüssen, nur zu einem Drittel auf Umwelteinflüssen. Bei Rechenschwäche liegt die Vererbbarkeit bei etwa 51 Prozent.

Wirksame Lernumgebungen schaffen

Ein substanzieller Anteil des beobachteten Zusammenhangs der Lese- und Rechenfähigkeiten beruhe auf Genetik, schreiben die Forscher. „Wir schätzen, dass mindestens zehn Prozent, wahrscheinlich etwa die Hälfte der genetischen Varianten, die mindestens eines der Merkmale beeinflussen, auch zu dem anderen beitragen.“

Mit einem größeren Verständnis dieser Muster sei es leichter, wirksame Lernumgebungen zu schaffen. Jedes Kind könne im Lesen und im Rechnen besser werden, betonen die Forscher. „Die komplexe Mischung aus Vererbung und Umwelteinflüssen macht uns zu dem, was wir sind.“