Die tödliche Ebola-Seuche hat Westafrika fest im Griff: Mittlerweile hat das Virus mehr als 600 Menschen getötet. Experten sind pessimistisch: Der Höhepunkt der Epidemie sei noch nicht erreicht.

Die Ebola-Epidemie in Westafrika breitet sich weiter aus: Mittlerweile seien in Guinea, Liberia und Sierra Leone mindestens 603 Menschen an der hoch ansteckenden Krankheit gestorben, teilte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Genf mit. Insgesamt 964 Menschen seien erkrankt.

Dies sei der schlimmste Ebola-Ausbruch seit der Entdeckung des Virus im Jahr 1976. Waren lange die Nachbarländer Guinea und Liberia am heftigsten von dem Virus betroffen, so kommen nun aus Sierra Leone die beunruhigendsten Zahlen.

Nach Angaben der WHO wurden allein zwischen dem 8. und 12. Juli in allen drei Ländern 85 neue Ebola-Fälle verzeichnet, 49 von ihnen stammen aus Sierra Leone. In dem kurzen Zeitraum starben in der gesamten Region 68 Patienten, 52 davon in der ehemaligen britischen Kolonie.

Im Kampf gegen die Seuche sind die Mediziner längst an ihre Grenzen gestoßen. Hinzu kommt, dass viele Ebola-Kranke westlichen Ärzten misstrauen. „Hier in Sierra Leone wenden sich viele Menschen zunächst an traditionelle Heiler, um behandelt zu werden“, erklärt Katherine Mueller, die Sprecherin des Roten Kreuzes, während einer Reise in die Region. Oft sei es für sie zu spät, wenn sie endlich in eine der Krankenstationen kommen.

Menschen beginnen langsam zu begreifen

Wenn Helfer des Roten Kreuzes derzeit in den Ebola-Gebieten in Westafrika unterwegs sind, werden die Autos wie so oft von Kindern belagert. Aber statt „Red Cross!“ rufen die Kleinen plötzlich „Ebola! Ebola! Ebola!“. So etwa geschehen in Kailahun, im äußersten Osten von Sierra Leone, wo die Seuche besonders heftig grassiert.

„Ich glaube, dass die Menschen ganz langsam zu begreifen beginnen, dass es Ebola wirklich gibt und die Krankheit ganz real existiert“, so Mueller. Zumindest sei der Name des Virus nun auch Kindern geläufig.

Erst wenige Stunden zuvor musste das Rote Kreuz vier neue Leichen abholen. „Am frühen Nachmittag bekamen wir einen Anruf, dass sieben neue Patienten ins Behandlungszentrum gebracht würden.“

Ärzte gehen von hoher Dunkelziffer aus

Experten befürchten, dass es noch viele weitere Menschen mit Symptomen gibt, die entweder von ihren Familienangehörigen versteckt werden oder in so abgelegenen Gegenden leben, dass sie noch nicht entdeckt wurden. „Und ich glaube nicht, dass wir schon den Höhepunkt der Epidemie erreicht haben“, warnt Mueller.

Ihre Kollegen von Ärzte ohne Grenzen (MSF) und den Vereinten Nationen stimmen der pessimistischen Prognose zu. „Es gibt immer noch Leute, die behaupten, dass es die Krankheit gar nicht gibt, und wieder andere denken, dass sie nicht behandelt werden muss“, sagt Manuel Fontaine, der Unicef-Regionaldirektor für West- und Zentralafrika.

„Wenn wir die Übertragungskette von Ebola durchbrechen wollen, dann müssen wir mehr tun, als Patienten zu behandeln: Wir müssen an jede Tür klopfen, jeden Markt besuchen und in jeder Kirche und Moschee von Ebola erzählen.“ Dafür seien aber nicht nur dringend mehr Personal und Partner nötig, sondern auch finanzielle Mittel.

Epidemie könnte noch Monate dauern

Trotz aller Bemühungen und Maßnahmen rechnen Beobachter deshalb damit, dass es noch Wochen oder sogar Monate dauern kann, bis die Epidemie unter Kontrolle gebracht wird.

Die Krankheit, die in bis zu 90 Prozent der Fälle tödlich verläuft, rafft immer mehr Menschen dahin. Fieber und schwere Blutungen sind die häufigsten Symptome. „In Macenta in Guinea sind 15 Mitglieder einer Familie an Ebola gestorben“, berichtet die Ärztin Hilde de Clerck, die für Ärzte ohne Grenzen bereits bei Ebola-Ausbrüchen unter anderem im Kongo und in Uganda im Einsatz war.

Familienmitglieder hatten ihre Angehörigen – darunter auch Kinder – vor dem Zugriff der Helfer versteckt. Nur das Familienoberhaupt und seine Frau konnten gerettet werden. „Es reicht eben nicht, einzelne Mitglieder einer Familie von unserer Arbeit zu überzeugen, wir müssen das Vertrauen jedes Einzelnen gewinnen.“

Patienten sind hochgradig verängstigt

Nicht nur für die Kranken, auch für die Helfer ist die Arbeit in den Einsatzgebieten hart – und zwar sowohl physisch als auch psychisch. Die futuristischen Anzüge, die den ganzen Körper bedecken, seien bei den hohen Temperaturen in der Region nur schwer zu ertragen, erzählen Ärzte und Pfleger.

Vor allem aber sei der Umgang mit Ebola-Patienten emotional sehr schwierig. „Die Patienten sind hochgradig verängstigt“, sagt de Clerck. „Wir sind die letzten Menschen, die sie berühren, und viele von ihnen bitten uns, ihre Hand zu halten.“ Einem Sterbenden eine letzte Berührung zu verweigern ist eine schwere Entscheidung – aber Ebola ist ein unsichtbarer, unter der Haut lauernder Gegner, der nur durch harte Maßnahmen besiegt werden kann.

Der Ernst der Lage und das potenzielle Schadensausmaß des aktuellen Ausbruchs seien völlig falsch eingeschätzt worden, erklärte die internationale Hilfsorganisation Plan International in diesem Monat. Zwar seien außerhalb Afrikas noch keine Fälle aufgetreten, doch das Risiko einer Ausbreitung sei real, erklärte Unni Krishnan, der Leiter der Katastrophenvorbeugung der Organisation.

Ärzte und Pfleger wurden mehrfach angegriffen

Priester bitten um himmlischen Beistand, und panische Bewohner abgelegener Regionen haben mehrfach ausgerechnet die Ärzte und Pfleger angegriffen, die ihnen zu Hilfe eilten. In einem Ort in Sierra Leone brannten Bewohner eine Klinik teilweise nieder. Sie befürchteten, die den Patienten verabreichten Medikamente seien tatsächlich der Auslöser der Krankheit.

Aktivisten versuchen, über Ebola aufzuklären – insbesondere auf dem Land, wo viele Analphabeten leben. Dazu dient auch ein Lied: „Es gibt keine Heilung, aber man kann vorbeugen“, heißt es im Refrain. „Berührt keine Menschen mit Anzeichen von Ebola“, singt die Musikerin und Aktivistin Juli Endee. „Esst kein Fleisch von Wildtieren. Spielt nicht mit Affen und Pavianen. Von Fledermäusen angebissene Pflaumen, esst sie nicht.“

Guinea informierte die WHO im März über das Auftreten von Ebola, kurz darauf wurden Fälle im benachbarten Liberia gemeldet. Zwei Monate später wurden Menschen in Sierra Leone krank. Ärzte ohne Grenzen hat erklärt, bei der Zahl der Menschen, die gegenwärtig in Sierra Leone behandelt werden, könnte es sich lediglich um die Spitze eines Eisbergs handeln.

40 Fälle aus einem einzigen Dorf gemeldet

Fast 40 Fälle wurden aus einem einzigen Dorf im Osten des Landes gemeldet. „Wir stehen unter massivem Zeitdruck. Je länger es dauert, Menschen aufzuspüren, die in Kontakt mit Kranken kamen, desto schwieriger wird es sein, den Ausbruch zu kontrollieren“, sagt Anja Wolz, Notfallkoordinatorin der Organisation.

Das Ebola-Virus ist laut Forschern eine neue Variante und gelangte nicht über frühere Ausbrüche in Uganda und im Kongo nach Westafrika. Viele glauben, dass es in Verbindung mit dem Verzehr von virustragenden Fledermäusen steht. Viele der Erkrankten sind Angehörige von Opfern oder des medizinischen Personals, das sie behandelte.

Viele Familien scheuen sich deshalb, Kranke in Kliniken zu bringen, wo sie bis zu ihrem Tod auf Isolierstationen gelegt werden. Die liberianische Präsidentin Ellen Johnson Sirleaf drohte daher kürzlich jedermann strafrechtliche Verfolgung an, der einen Verdachtsfall bei sich zu Hause behält. Kurz zuvor hatte Sierra Leone eine ähnliche Warnung ausgegeben. Einige Patienten hätten sich eigenmächtig aus dem Krankenhaus entfernt und seien nicht mehr auffindbar, hieß es.

Körpertemperatur von Flugreisenden gemessen

Auf dem Flughafen der guineischen Hauptstadt Conakry wird die Körpertemperatur von Flugreisenden gemessen. Wer Fieber hat, wird weitergehend untersucht. Dennoch fühlen sich Guineer im Ausland stigmatisiert.

„Die Polizei hat uns wie Außerirdische behandelt. Sie sagten, sie wollten uns wegen der Epidemie in Guinea nicht in ihrem Land haben“, sagt der Geschäftsmann Tafsir Sow, der vor seiner Weiterreise nach Paris vorübergehend auf dem Flughafen der marokkanischen Stadt Casablanca festgehalten wurde. „Ich hatte Tränen in den Augen.“

Dennoch ist die WHO zuversichtlich, die Lage in den kommenden Wochen unter Kontrolle zu bringen. Bei einer Konferenz in der ghanaischen Hauptstadt Accra einigten sich Vertreter der betroffenen Länder kürzlich auf einen gemeinsamen Ansatz zur Bekämpfung von Ebola.

„Wenn sie sich verbreitet, geht es natürlich in die falsche Richtung“, sagt Keiji Fukuda, beigeordneter Generaldirektor für Gesundheitssicherheit und Umwelt der WHO. „Man will, dass die Zahl der Infektionen zurückgeht. Deshalb müssen wir unsere Bemühungen nochmals verdoppeln.“ Doch zu sagen, dass die Lage außer Kontrolle geraten sei, erwecke den Eindruck, dass es keine Lösung gebe. „Dies ist ein Virus, für das es sehr klare Lösungen gibt.“