Forscher der Universität Marburg haben einen Chip entwickelt, der mit geringem Energieaufwand Meerwasser entsalzt. Die Technik könnte für viele Millionen Menschen weltweit Trinkwasser liefern.

Schon nach 24 Stunden begannen seine Füße anzuschwellen. „In weiteren 36 Stunden breiteten sich Ödeme bis zu den Knien aus.“ So beschrieb Hannes Lindemann seinen körperlichen Zustand, als er seinen Durst mit Salzwasser zu löschen versuchte.

Der Arzt und Segler war 1955 mit einem knapp acht Meter langen, selbst gebauten Einbaum auf dem Atlantik von Afrika in die Karibik unterwegs. Trinkwasser hatte er absichtlich nicht an Bord. Lindemann wollte den Behauptungen des Franzosen Alain Bombard nachgehen, man könne durch das Trinken von Salzwasser und den Verzehr rohen Fischs überleben.

Das hatte nicht funktioniert, nur ausreichend Regenwasser rettete Lindemann. Nach 65 Tagen erreichte er völlig erschöpft die Karibikinsel St. Martin. Im Buch „Allein über den Ozean“ hat er seine Erfahrungen aufgeschrieben, sie wurden Grundlage für Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation für die Seefahrt.

Künftig könnte ein daumengroßer Chip das Überleben erleichtern. Forscher der University of Texas und der Philipps-Universität in Marburg haben ihn entwickelt, und er kann auf einfache Weise Meerwasser entsalzen und damit trinkbar machen. Das wäre nicht nur für Segler interessant, es könnte weltweit Menschen vor dem Verdursten retten, wenn viele der Chips eingesetzt werden.

Ozeane stellen 97 Prozent des Wasservorrats

Nach Zahlen der Uno haben etwa eine Milliarde Menschen auf der Welt keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser, etwa vier Millionen Menschen sterben jährlich durch Wassermangel. Da das größte Bevölkerungswachstum vorwiegend in Regionen mit Wassermangel wie Afrika und Asien erfolgt, wird sich die Situation in Zukunft noch weiter verschärfen.

Daher beschäftigen sich seit vielen Jahren Forscher mit der Entsalzung von Meerwasser. Das Potenzial ist riesig, Ozeane stellen etwa 97 Prozent des auf der Erde verfügbaren Wasservorrats. Etwa 300 Millionen Menschen sind bereits von Entsalzungsanlagen abhängig.

Zwar liefern einige der Verfahren mehr als passable Ergebnisse, doch sie sind teuer und verbrauchen sehr viel Energie. Daher arbeiten Forscher weltweit an neuen Techniken. Dazu gehört auch der Wasser-Chip, den Ulrich Tallarek, Chemieprofessor an der Universität Marburg, und sein Team entwickelt haben.

Sie nutzen dafür die Bestandteile des Meersalzes selbst. Es besteht aus positiv geladenen Teilchen, den Natrium-Ionen, und negativ geladenen Teilchen, den Chlorid-Ionen. Bei der von Tallarek und Kollegen entwickelten Methode strömt das Salzwasser durch Mikrokanäle, die sich gabeln.

Ein Wasser-Chip filtert 25 Prozent Salz heraus

An der Gabelung befindet sich eine Elektrode. Dort wird ein sehr kleiner Teil der Chlorid-Ionen des Meerwassers zu Chlor oxidiert.

„Es bildet sich lokal eine Zone, die an Ionen verarmt ist“, erläutert Tallarek. „Dadurch entsteht ein elektrischer Feldgradient, durch den elektrisch geladene Teilchen – seien es einfache Ionen oder organische Materie – an der Kanalverzweigung abgelenkt werden.“

Während also an der Elektrode die meisten Salzionen in einen Kanal abzweigen und als Lake abfließen, rauscht durch den anderen Kanal das teilentsalzte Wasser. „Das Verfahren benötigt so wenig Energie, dass eine einfache Batterie für den Betrieb des Systems ausreicht“, sagt Tallarek.

Ein Wasser-Chip allein kann 25 Prozent des Salzes aus dem Meerwasser entziehen. Hintereinander geschaltet ließe sich nicht nur die Reinheit des Wassers verbessern, sondern auch Trinkwasser in großen Mengen bereitstellen.

Der Wasser-Chip hat einen weiteren Vorteil gegenüber der oft eingesetzten Methode der Umkehr-Osmose. Bei diesem Verfahren befindet sich auf der Seite einer Membran Flüssigkeit mit hoher Salzkonzentration – zum Beispiel Meerwasser.

Siemens setzt auch auf energiesparende Entsalzung

Druck zwingt das Wasser in die andere Richtung, auf die Seite mit der niedrigeren Konzentration. Die unerwünschten Salze können aufgrund ihrer molekularen Größe nicht durch die ultrafeine Membran gelangen, so bleibt auf der einen Seite der Membran fast ausschließlich reines Wasser übrig.

Doch die verwendeten Membrane sind teuer und empfindlich, sie verkeimen leicht und verstopfen. Der Wasser-Chip kommt ohne sie aus, lediglich Sand und Schmutz müssen aus dem Meerwasser entfernt werden.

Eine Desinfektion oder Zugabe von Chemikalien ist für den Betrieb des Wasser-Chips nicht erforderlich. „Aufbau und Betrieb der Anlage sind so einfach, dass es nicht viel kostet, die Vorrichtung vielfach parallel zu schalten“, sagt Chemiker Tallarek.

Energiekosten soll auch ein von Siemens entwickeltes Verfahren senken helfen. Die positiv und negativ geladenen Ionen der Salze werden ebenfalls mithilfe eines elektrischen Felds freigesetzt. Dabei wechseln sich Membranen ab, die entweder nur positive oder nur negative Ionen passieren lassen.

Australien investiert Milliarden in die Entsalzung

Die Ionen folgen der Anziehungskraft des elektrischen Feldes durch eine Membran hindurch, die nächste Membran hält sie danach auf. So entsteht im Kanal des Membranpaars salzarmes Wasser. In den Kanälen zu beiden Seiten reichert sich das Salz an und kann als Konzentrat abfließen. Dass die Technik funktioniert, zeigt eine Pilotanlage in Singapur, die bereits täglich 50 Kubikmeter Wasser entsalzt und dabei pro Kubikmeter lediglich 1,5 Kilowattstunden elektrischen Strom verbraucht.

Solch effiziente Entsalzungsanlagen werden dringend gebraucht. Weltweit haben schon zahlreiche Staaten aus der Not heraus damit begonnen, Meereswasser trinkbar zu machen. Nach zehn Jahren Dürre setzt zum Beispiel Australien auf Meerwasserentsalzung und investiert mehr als neun Milliarden Euro in entsprechende Anlagen für Großstädte wie Sydney, Melbourne, Brisbane und Perth.

In Europa müssen auf den Kanarischen Inseln mehr als 660.000 Kubikmeter Trinkwasser mit 319 Entsalzungsanlagen produziert werden. Auch viele griechische Inseln werden seit 2007 in den Sommermonaten über eine schwimmende Plattform zur Meerwasserentsalzung mit Trinkwasser versorgt, die täglich 70 Kubikmeter Wasser bereitstellt. Die Energie stammt von einem Windgenerator und einem Fotovoltaiksystem.

Künftig könnte es sogar möglich sein, die Sonne direkt für die Entsalzung zu nutzen. Daran tüftelt der Industriedesigner Stephan Augustin.

Ganz ohne Strom und ohne Membrane soll das funktionieren, in einer Anlage, die zudem noch portabel und kostengünstig ist. Das Ergebnis seiner jahrelangen Forschung ist der sogenannte Watercone.

Segway-Erfinder entwickelt Wasseraufbereiter

Über einer flachen, schwarzen Kunststoffschüssel mit 80 Zentimeter Durchmesser wölbt sich ein durchsichtiger Deckel in Form eines Kegels mit einer Auffangrinne am unteren Rand und einem Verschluss an der Spitze. „In die Schüssel wird Meerwasser gefüllt. Die Sonne bringt es zum Verdunsten“, sagt Augustin. „Der Wasserdampf kondensiert dann am Kegel und läuft als Wasser in die Rinne ab. Nach einem Sonnentag ist sie voll.“

Danach brauche man den Watercone nur umzudrehen, den Verschluss zu öffnen, um das trinkbare Süßwasser abzufüllen. Einen bis anderthalb Liter schafft die transportable Anlage pro Tag – den täglichen Trinkwasserbedarf eines Kindes.

Mit seinem Plan, Entsalzung mit einfachster Technik praktisch jedem zugänglich zu machen, ist Augustin nicht allein. Auch der bekannte amerikanische Erfinder Dean Kamen hat darin eine neue Herausforderung gesehen.

Bekannt geworden ist Kamen durch die Entwicklung des Segways, eines zweirädrigen Elektro-Fahrzeugs, das sich selbst in Balance hält. Seit einigen Jahren forscht er verstärkt an einem System zur Wasseraufbereitung, dem Slingshot.

Mithilfe von Abfall soll Wasser sauber werden

Das Gerät kann mehr als 250.000 Liter Wasser jährlich reinigen – genug, um 300 Menschen zu versorgen. Die Destillation hat einen entscheidenden Vorteil gegenüber den anderen Verfahren: Es lässt sich auch Abwasch- oder verunreinigtes Flusswasser verwenden.

In einem ausgeklügelten System aus Verdampfung und Destillation trennt die Anlage Schmutz oder Salz vom dadurch gereinigten Wasser. Es wird lediglich Energie benötigt, um das Wasser einmal zum Kochen zu bringen sowie um Pumpe und Kompressor zu betreiben. Eine kleine Solaranlage reicht aus, um diese Energie zu erzeugen.

Mittlerweile ist der Slingshot schon im Einsatz. Im August 2013 hat in Südafrika das erste „Ekocenter“ eröffnet, das neben Alltagswaren kostenlos sauberes Wasser aus dem Slingshot zur Verfügung stellt. Bis Ende 2015 sollen 2000 der Geräte in Afrika, Asien und Lateinamerika verteilt werden, um jährlich 500 Millionen Liter Trinkwasser für eine halbe Million Menschen zu produzieren.

In einem nächsten Schritt will Kamen eine weitere seiner Erfindungen, den Stirling-Generator, mit dem Slingshot verbinden. Der Generator ist in der Lage, aus allem Brennbaren, zum Beispiel Abfall oder Blättern, Energie zu erzeugen. So könnten Menschen in Regionen ohne Strom in den Genuss sauberen Wassers kommen – und auch noch gleich Teile ihres Mülls entsorgen.