Überholen mit 90 Stundenkilometern, und das mit Strom aus Oberleitungen: Neu ist die Idee nicht, wohl aber das Konzept, Autobahnen und Lkws damit auszurüsten. Siemens testet das nun in den USA.

Omnibusse, die elektrisch mit Oberleitungsstromabnehmern fahren, gibt es seit Jahrzehnten. Sie fahren auf festen Routen ihren Streckenplan ab und sind auf ständigen Kontakt zum Stromnetz angewiesen. Doch jetzt kommen Lkws mit Elektroantrieb, die sich relativ frei auf einer Autobahn mit Oberleitung bewegen und selbst überholen können – auch wenn es auf der Überholspur keinen Oberleitungsdraht gibt.

Nach rund zweijährigen Gesprächen hat Siemens von der südkalifornischen Umweltbehörde für Luftreinhaltungspolitik (South Coast Air Quality Management District, SCAQMD) den Zuschlag für die Installation einer E-Autobahn zu Testzwecken in der Nähe der Häfen von Los Angeles und Long Beach erhalten. Die Behörde spricht von einem Fünf-Millionen-Dollar-Projekt. Es soll im Sommer 2015 anlaufen und ist zunächst auf ein Jahr angelegt.

Erstmals werden dann in den USA elektrifizierte Lkws an Oberleitungen verkehren und damit zur Luftreinhaltung beitragen. Der US-Bundesstaat Kalifornien ist für seine strengen Umweltschutzvorschriften bekannt und häufig der erste Einsatzort von Technikfirmen und Fahrzeugherstellern, um dort neue emissionsarme Antriebskonzepte zu testen.

Zunächst sollen jeden Tag bis zu vier Lkws die Strecke befahren

Siemens entwickelte mit der Volvo Group und deren Marke Mack für das Kalifornien-Projekt ein Vorführfahrzeug. Wie es heißt, können auch Lkws anderer Marken an dem Versuch teilnehmen. Zunächst sollen jeden Tag bis zu vier Lkws die Strecke im Pendelverkehr befahren.

Wie Martin Birkner, Leiter Geschäftsentwicklung eHighway bei Siemens, sagt, liefert der deutsche Elektrokonzern nicht nur die Oberleitungstechnik. Die eigentliche Herausforderung sei die Entwicklung des „intelligenten Stromabnehmers“ gewesen. Er mache es möglich, dass der Lkw selbst bei 90 Stundenkilometern zum Überholen den Kontakt zur Oberleitung vorübergehend verliert und sich danach wieder ankoppelt. „Besondere Sensoren, Mechatronik und eine ausgefeilte Steuerung sind dafür nötig“, sagt Birkner.

Die Technik konnte Siemens in den vergangenen zwei Jahren bereits auf einem Testgelände im Norden Berlins auf einer 1,2 Kilometer langen Versuchsstrecke erproben. Dort wurden zunächst Lkws von Daimler und jetzt von Scania erprobt.

Lkws mit verschiedenen Antriebskonzepten

Die Besonderheit des Versuchs in Kalifornien sei auch, dass Lkws mit verschiedenen Antriebskonzepten, wie einem Hybrid aus Diesel- und E-Motor oder einem E-Motor mit Batteriepuffer sowie einem Erdgashybrid erprobt werden könnten.

Siemens-Experte Birkner sieht die Oberleitungslösung als Zukunftsmodell im Vergleich zur sogenannten induktiven Stromübertragung durch in die Fahrbahn eingelassene Stromkabel. „Wir sehen bei sich frei bewegenden Fahrzeugen auf einer Straße keine technische Lösung, genügend Leistung induktiv auf ein Fahrzeug während der Fahrt zu übertragen“, sagt der Experte. Die induktive Stromübertragung wäre ein Konzept für geparkte Fahrzeuge.