Schwurgericht verurteilt US-Tabakkonzern zur Zahlung von bisher einmaliger Rekordsumme von 23 Milliarden Dollar. Nach dem Urteil zeigte sich der Vizepräsident des Tabakkonzerns Reynolds fassungslos.

Miami. Michael Johnson rauchte täglich bis zu drei Päckchen Zigaretten. Und das über einen Zeitraum von 20 Jahren. 1996 starb der Amerikaner mit 36 Jahren an Lungenkrebs. Jetzt soll der Zigarettenhersteller R.J. Reynolds Tobacco Company seiner Witwe Cynthia Robinson mehr als 23 Milliarden Dollar (17,5 Milliarden Euro) Schadenersatz zahlen. Die Entscheidung der Jury von Escambia County in Florida fiel nach 15-stündigen Beratungen.

Cynthia Robinsons Anwalt teilte mit, es handle sich um die höchste Summe, die jemals in einem solchen Rechtsstreit von einem Gericht im Bundesstaat Florida zugesprochen worden sei. Als sie das Urteil hörte, so erzählte Robinson es der „New York Times“, habe sie Millionen verstanden und sei bereits sehr aufgeregt darüber gewesen. Doch dann habe ihr Anwalt ihr erklärt, dass es sich um Milliarden handele. „Es war einfach unglaublich“, sagte Robinson.

Die Amerikanerin aus Pensacola hatte die amerikanische Zigarettenfirma, die neben der Marke Camel auch Pall Mall und Natural American Spirit herstellt, 2008 verklagt. Es ist eine von Tausenden Klagen, die Angehörige von Rauchern angestrengt hatten, nachdem der Oberste Gerichtshof von Florida 2006 das Urteil zu einer Sammelklage gekippt hatte, das Schadenersatzzahlungen in Höhe von 145 Milliarden Dollar vorgesehen hätte.

Cynthia Robinsons Vorwurf lautete, dass der Zigarettenhersteller die Gefahren des Rauchens und die Suchtgefahr seiner Produkte bewusst verheimlicht habe. Michael Johnson begann nach Angaben seiner Ehefrau im Alter von 13 Jahren mit dem Rauchen. „Er zündete die nächste Zigarette meistens mit dem noch glimmenden Ende der vorigen an. Er hat wirklich eine Menge geraucht“, sagte sie während des vierwöchigen Prozesses vor Gericht. Die Geschworenen folgten dieser Argumentation. Der Tabakkonzern habe nicht deutlich genug darauf aufmerksam gemacht, dass Nikotin süchtig macht.

Die Laienrichter waren vor allem von Filmmaterial aus dem Jahr 1994 beeindruckt. Die Aufnahmen zeigen verantwortliche Manager des Tabakkonzerns, die dort behaupten, Rauchen mache nicht süchtig und verursache auch keinen Krebs. 60 Jahre alte interne Dokumente belegen hingegen, dass das Unternehmen genau wusste, dass das Gegenteil der Fall ist.

„Wir hoffen, dass das Urteil R.J. Reynolds und andere große Tabakkonzerne dazu bewegt, nicht länger das Leben unschuldiger Menschen in Gefahr zu bringen“, hieß es in einer Mitteilung von Robinsons Anwalt Willie Gary. R.J. Reynolds habe das „kalkulierte Risiko“ übernommen, Zigaretten herzustellen und sie an Konsumenten zu verkaufen, ohne sie ausreichend über damit verbundene Gefahren zu unterrichten.

Nach dem Urteil zeigte sich der Vizepräsident des Tabakkonzerns Reynolds fassungslos: „Die Höhe der zugesprochenen Schadenersatzsumme ist vollkommen übertrieben“, sagte J. Jeffery Raborn der „New York Times“. Er sei sich sicher, dass die Geschworenen in nächster Instanz anders entscheiden werden. Und in der Tat sind die Konzerne mit ihren Anfechtungen oft erfolgreich. Im Oktober des Jahres 2002 etwa sprach ein Gericht in Los Angeles gegen Philip Morris eine Strafe in Höhe von 28 Milliarden Dollar aus. Neun Jahre später reduzierte ein anderes Gericht die Schadensersatzsumme auf 28 Millionen Dollar.

Die Summe der Schadenersatzforderung ist fast so hoch wie die, die der Konzern für die Übernahme eines Konkurrenten gezahlt hat. Vor wenigen Tagen war bekannt geworden, das Reynolds American den Rivalen Lorillard kauft. Der 27,4 Milliarden Dollar (20,1 Milliarden Euro) schwere Deal vereint den zweit- und den drittgrößten Zigarettenproduzenten der Vereinigten Staaten. Der neue Tabakkonzern steht für mehr als elf Milliarden Dollar Jahresumsatz. Die Wettbewerbsbehörden müssen aber noch zustimmen.

Das Rauchen ist in den USA der Hauptgrund für verfrühte Todesfälle und verantwortlich für den Tod von etwa einer halben Million Menschen im Jahr. Allerdings geht der Anteil der Raucher zurück. In den 1960er-Jahren lag ihr Anteil an der Bevölkerung bei 42 Prozent, heute sind es 18 Prozent.