Vor 45 Jahren kam die Sängerin Alexandra bei einem Autounfall in Dithmarschen ums Leben. Josef Nyary erinnert an den jungen Star, der schon das Öko-Zeitalter besang, ehe es begonnen hatte.

Es ist ein heißer Tag in einem überdurchschnittlich warmen Sommer, dieser 31. Juli 1969. In Tellingstedt klettert das Thermometer auf 28,4 Grad. Die Sonne brennt von einem wolkenlosen Himmel. Auf der L 149 steuert die Sängerin Doris Nefedov ihr elfenbeinfarbenes Mercedes 220 SE Coupé nach Norden. Die Welt kennt sie unter einem Künstlernamen: Alexandra.

Ihre tiefe, rauchige Stimme, ihre melancholischen Lieder und ihre exotische, geheimnisvolle Schönheit haben sie populär, unverwechselbar und wohlhabend gemacht. An diesem sonnigen Donnerstag, auf der schmalen Landstraße durch die Wiesen, Weiden und Wäldchen Dithmarschens, endet die Fahrt als Tragödie, und eine Legende wird geboren: Durch ihren jähen Tod steigt die erst 27 Jahre alte Sängerin in den Olymp der jungen Musik-Idole auf wie kurz darauf Janis Joplin oder später Amy Winehouse.

Alexandra ist auf dem Weg nach Sylt, in den ersten Urlaub seit drei Jahren. Sie hat Stress, ist psychisch angeschlagen. Neben ihr sitzt ihre Mutter Wasselewska „Wally“ Treitz. Auf dem Rücksitz liegt der sechs Jahre alte Sohn Alexander, in Kissen gebettet. Kurz vor der Ortsmitte Tellingstedt stößt die L149 auf die Bundesstraße 203. Die Kreuzung ist schwer einsehbar. Die Polizei hat bereits mehrere tödliche Unfälle registriert. Ein dreieckiges Schild warnt: „Halt! Vorfahrt gewähren!“

Alexandras Manager und Liebhaber, der Journalist und Musikverleger Hans R. Beierlein, ist auch mit Udo Jürgens, Adamo oder Charles Aznavour dick im Geschäft. „Alexandra war eine schlechte Autofahrerin“, wird er später erzählen. „Einen Tag vor dem Unfall saß ich noch bei ihr im Wagen. Ihr Fahrstil war so gefährlich, dass ich ausstieg, weil ich Angst bekam. Der Unfall ist passiert, weil Alexandra nicht aufpasste und ein Stoppschild überfuhr.“

Der Mercedes ist Alexandras erstes Auto, Baujahr 1958, gebraucht gekauft. In der Nacht ist sie mit Mutter und Sohn im Autozug von München nach Hamburg gereist. Am Vormittag hat sie noch einen Termin bei ihrer Plattenfirma. Am Mittag will sie endlich weiter nach Sylt. Die A 23 nach Heide ist erst bis Pinneberg fertig, der Bau der A 7 nach Kiel hat gerade begonnen, also geht es auf die B 5.

Die Hitze, der Verkehr und das Auto machen der Sängerin bald zu schaffen. In Heiligenstedten kurz hinter Itzehoe hat sie eine Panne. Hilfsbereite Männer schieben sie zu einer Tankstelle. Ein Mechaniker wechselt die Zündspule. Am Armaturenbrett sieht er Merkzettel mit Angaben zur Bedienung des Autos.

Gegen 15 Uhr kommt sie an die B203. Hat sie das Schild übersehen? Von rechts kommt ein Lastzug voller Betonplatten. Er kracht in den Mercedes, schleift ihn mehr als 20 Meter mit und schleudert ihn in eine Wiese. Die Opfer haben keine Chance: „Die Fahrerin, die hinter dem Lenkrad eingeklemmt war, konnte Sekunden später befreit werden“, hält der Polizeibericht fest, „sie war aber bereits verstorben, als sie unter Anleitung eines Arztes aus dem Pkw gehoben wurde.“ Alexandras Mutter stirbt kurze Zeit später im Städtischen Krankenhaus Heide. Sohn Alexander kommt mit ein paar Schnittwunden im Gesicht davon.

Der Tod der „Stimme der Sehnsucht“ erschüttert das Land. Fans pilgern zur Unfallstelle, legen Blumen, Bilder, Briefe nieder. Und wie immer bei solchen Tragödien machen bald wirre Gerüchte die Runde: Mord? Selbstmord? Ihr Kurzzeit-Ehemann Nikolai Nefedov (1912–1989), mit dem sie in die USA auswandern wollte, ein Spion mit Stasi-Verbindungen? Der Frankokanadier Pierre Lafaire, mit dem sie sich verlobte, ein US-Agent mit Kontakten ins Rotlicht-Milieu? Ein Biograf, der mit solchen Thesen ein ganzes Buch füllt, wird nach eigenen Angaben „mit Mord bedroht“.

Die Wahrheit ist schlimm genug: Der Dauerstress einer beispiellosen Karriere kostet die junge Sängerin so viel Nerven, dass ihre Aufmerksamkeit in der entscheidenden Sekunde versagt. Schon vorher hat das Leben viel von ihr verlangt. Die Tochter einer Familie, die 1944 vor der Roten Armee aus dem Memelland flüchtete, schmeißt das Gymnasium und kämpft sich ohne Abi hoch: Sekretärin, Stenotypistin, Zimmermädchen, Modeschule, Neunte bei einer „Miss Germany“-Wahl. Mit 21 Jahren Mutter, Ehemann 30 Jahre älter. Nach der Scheidung gibt sie sich einen neuen Namen: „Alexandra“, nach ihrem Sohn.

Die Musik ist ihre Chance. 1965 singt sie bei den City Preachers, wie später Udo Lindenberg. Beierlein pusht sie in die Hitparaden, seit „Doktor Schiwago“ (1966) ist russische Seele angesagt. Alexandras Lieder heißen „Kleine Anuschka“, „O Duscha Duscha“ oder „Schwarze Balalaika“. Doch sie hat den Slawen-Schmalz bald satt, sie will mehr, und sie schafft es. „Mein Freund, der Baum“ wird 1968 zur Hymne des neuen Öko-Zeitalters: „Du fielst heut früh, ich kam zu spät, du wirst dich nie im Wind mehr wiegen, du musst gefällt am Wege liegen …“ Ihr Manager sagt 40 Jahre nach ihrem Tod: „Sie war mit ihren Texten und Themen ihrer Zeit voraus.“

Die Todeskreuzung wird nach dem Unfall 100 Meter westlich durch eine Brücke ersetzt. An der Unfallstelle erinnert ein Gedenkstein, in Alexandras Geburtsort Heydekrug (heute Šilutė, Litauen) eine Bronzetafel an die Sängerin. In Hamburg ist ihr eine Straße, in Kiel ein Platz gewidmet. Auf ihrem Grabstein auf dem Münchner Westfriedhof steht nur ALEXANDRA – das genügt.