Im Abendblatt sprechen die CDU-Politiker Julia Klöckner und Dietrich Wersich über die Bewerbung, Rollenbilder, Frauenquoten und Homosexualität

Hamburg. Die stellvertretende CDU-Vorsitzende Julia Klöckner, 41, gilt als eine der größten Hoffnungen ihrer Partei und will 2016 Ministerpräsidentin in Rheinland-Pfalz werden. Dort ist sie bereits CDU-Landesvorsitzende und Fraktionschefin. Dietrich Wersich, 50, ist CDU-Fraktionschef in der Hamburger Bürgerschaft und fordert als Spitzenkandidat im Februar Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) heraus.

Hamburger Abendblatt:

Frau Klöckner, Sie haben sich jüngst in der HafenCity begeistert von der Idee gezeigt, da im Hafen Olympische Spiele durchzuführen. Was spricht für Hamburg und gegen Berlin?

Julia Klöckner:

Berlin hat bereits vieles: Regierungssitz, Botschaften, große Empfänge, große Veranstaltungen. Ich könnte mir vorstellen, dass in Hamburg durch Olympische Spiele eine ganz andere Entwicklung einsetzen würde, als das in Berlin möglich wäre. Vor allem ist in Hamburg das Potenzial da.

Worin sehen Sie dieses Potenzial?

Klöckner:

In den freien Flächen, die es hier gibt. In der Faszination, viele Wettkämpfe mitten in der Stadt am Wasser durchführen zu können. Und für Deutschland wäre eine Hamburger Bewerbung die Chance, der Welt mal ein anderes Gesicht zu zeigen: das Gesicht einer Hafenstadt, die Deutschlands Tor zur Welt ist, die Architektur einer alten Hansestadt, die Weltoffenheit der Menschen.

Dietrich Wersich:

Bislang ist das Deutschlandbild im Ausland ja stark süddeutsch geprägt: Lederhosen, Oktoberfest, Kuckucksuhren...

Rheinland-Pfalz liegt auch ziemlich weit im Süden...

Klöckner:

Wir haben aber keine Lederhosen und keine Kuckucksuhren! Wenn er jetzt Weinstöcke gesagt hätte...

Wersich:

Genau, der Wein aus Rheinland-Pfalz ist hervorragend. Was ich meinte: Olympische Spiele bieten die Chance, nach dem Sommermärchen 2006 erneut ein anderes Deutschlandbild zu präsentieren, das die Welt noch nicht so gut kennt. Die jungen Sportler, die an den Spielen teilnehmen, gehören oft auch abseits des Sports zur Leistungselite ihres Landes. Diese alle nach Hamburg zu holen und sich als weltoffene Metropole präsentieren zu können wäre für die Stadt eine Riesenchance.

Frau Klöckner, Sie sind 2011 in Rheinland-Pfalz nach einer furiosen Aufholjagd nur hauchdünn daran gescheitert, den etablierten SPD-Ministerpräsidenten Kurt Beck abzulösen. Welche Tipps können Sie Dietrich Wersich für den Wahlkampf gegen Olaf Scholz geben?

Klöckner:

Tipps zu geben fände ich anmaßend. Aber zwei Erfahrungen habe ich gemacht: Man muss eine Vorstellung davon haben, was man aus einem Land oder einer Stadt machen will. Dietrich Wersich hat so eine Vorstellung. Zweitens muss man auch Spaß haben: Politiker, die nicht lachen können, die gebeugt gehen – warum soll man die wählen? Aber den Eindruck, keinen Spaß zu haben, habe ich von ihm nicht.

Herr Wersich, was ist denn Ihre Vision von Hamburg?

Wersich:

Hamburg braucht wieder ein Leitbild, wie das Wachstum gestaltet werden soll. Es reicht nicht, nur die Folgen zu bewältigen und auszurechnen, wie viele Kitaplätze wir brauchen, wenn die Einwohnerzahl auf zwei Millionen steigt. Gestalten heißt für mich: Was können wir wirtschaftlich neben einem starken Hafen entwickeln? Ich will, dass Hamburg künftig für Hafen und Hightech steht. Wir haben in Industrie und Wissenschaft riesige Potenziale. Hamburg sollte zur Wissens- und Gründermetropole werden.

Im Wahlkampf geht es zunehmend auch um „weiche“ Faktoren wie die Beliebtheit der Spitzenkandidaten. Ist es ein Vorteil oder ein Nachteil, als Frau gegen einen Mann anzutreten?

Klöckner:

Dass die weichen Faktoren so eine Rolle spielen, liegt auch an den Medien, die das thematisieren. Aber natürlich geht es bei Wahlen auch um Persönlichkeit. Was dabei ein Vorteil ist, kann man nicht pauschal beantworten, das hängt immer von der Konstellation ab. Man muss ein eigener Typ sein und darf niemanden kopieren. Wenn man das schafft, ist es ein Vorteil. Aber das kann man als Frau ebenso sein wie als Mann.

Aber es lässt sich doch auch nicht bestreiten, dass es von Vorteil ist, wenn man als junge Frau mit der Aura einer ehemaligen Weinkönigin gegen einen ergrauten Herrn mit Bart antritt. Da kann der doch nur alt aussehen.

Klöckner:

Das ist jetzt wieder typisch. Die „Weinkönigin“ sprechen immer nur Männer an, nie Frauen. Genauso gut hätten Sie sagen können: Als junge Frau, die einen Studienabschluss hat und mal Chefredakteurin war. Abitur und Führerschein habe ich übrigens auch. Dennoch zu Ihrer Frage: Das kann Vorteil oder Nachteil sein. Damals hat Herr Beck gesagt: „Ich werde Frau Klöckner wie einen Mann behandeln, fair und sachlich.“ Ich habe ihm geantwortet: „Ich werde Sie aber nicht wie eine Frau behandeln.“ Damit wurde das Absurde der Debatte deutlich. Die wird ja immer nur dann geführt, wenn etwas neu und ungewohnt ist.

Uns geht es auch um die Frage, wie man es als Herausforderer schaffen kann, sich vom Amtsinhaber abzuheben. In Hamburg haben wir mit Olaf Scholz und Ihnen, Herr Wersich, zwei Männer, beide erfahrene Politiker, beide eher sachlich...

Wersich:

...aber damit hört es schon auf! Entschuldigung, aber ich bin völlig anders als Olaf Scholz. Ich bin in Hamburg tief verwurzelt, habe hier zehn Jahre als Arzt gearbeitet, habe ein Theater aufgebaut und geleitet – alles existenzielle Erfahrungen, die mich prägen. Ich bin alles andere als ein Berufspolitiker, der keine andere Basis hat.

Fairnesshalber erwähnen wir, dass auch Olaf Scholz als Anwalt gearbeitet hat, bevor er Berufspolitiker wurde. Haben Sie mal ernsthaft überlegt, jemanden wie Frau Klöckner als Spitzenkandidatin zu importieren, anstatt selbst anzutreten?

Wersich:

Nein. In den neuen Bundesländern gab es das mal kurz nach der Wende. In Westdeutschland haben Politiker von außen nie zu einem Regierungswechsel geführt. Von Ole von Beust über Roland Koch bis zu Peter Müller waren es immer im Lande verwurzelte Köpfe, die die CDU aus der Opposition in die Regierung führten. Und die Hamburger CDU hat diese Kompetenz und Vielfalt. Unser Kandidatenangebot reicht von Frauen und Männern Anfang 20 bis zu über 70 Jahren, Alteingesessenen und Zuwanderern, genauso vielfältig wie unsere Stadt selbst.

Aber mal wieder relativ wenige Frauen. Braucht die Hamburger CDU nicht doch eine Frauenquote?

Wersich:

Ein Beschluss über eine verbindliche Quote ist ja auch und vor allem am Widerstand junger Frauen auf dem Parteitag gescheitert. Aber strittig war nur der Weg, nicht das Ziel. Wir waren uns einig, auch ohne verpflichtende Quote jeden dritten Platz mit einer Frau zu besetzen. Das haben wir gemacht.

Frau Klöckner, Sie haben Ihren Aufstieg auch dem Frauenquorum zu verdanken.

Klöckner:

Stimmt. Mein Bundestagswahlkreis in Bad Kreuznach war immer SPD-geprägt, für die CDU nicht zu gewinnen. 2002 war dann der Platz sechs auf der Landesliste frei, und wir wussten, dass unser Wahlkreis nur dann einen Abgeordneten schicken kann, wenn wir eine Frau aufstellen – weil wegen des 30-Prozent-Quorums der CDU dieser Platz nicht an einen Mann gehen durfte. So kam man nach einiger Suche auf mich. Ich bin dann über die Liste in den Bundestag eingezogen. Aber 2005 konnte ich den Wahlkreis aus der Position einer Abgeordneten heraus erstmals knapp für die CDU gewinnen und 2009 mit 18 Prozent Vorsprung verteidigen. Wenn mir heute Parteifreude sagen, „Du brauchst die Quote doch gar nicht“, antworte ich: „Ja, heute nicht mehr. Aber vergesst nicht, wie ich in den Bundestag gekommen bin.“

Also sollte die Hamburger CDU eine Quote einführen?

Klöckner:

Wichtig ist das Ergebnis, nicht das Mittel. Die Quote ist nur eine Krücke. Aber manchmal braucht man so eine Initialzündung, um zur Normalität zu gelangen. Es geht ja nicht darum, gute Männer durch schlechte Frauen zu ersetzen, sondern es geht darum, dass man Potenzial hebt. Und wenn wir in der Gesellschaft mehr als 50 Prozent Frauen haben, eine Partei das aber nicht annähernd in den Positionen abdeckt, vergeben wir da nicht Potenziale?

Frau Klöckner, Sie berichteten 2009 über Twitter vorab das Ergebnis der Wahl des Bundespräsidenten. Das hat Ihnen Ärger eingetragen. Sind die Neuen Medien für die Politik mehr Fluch oder Segen?

Klöckner:

Kommt darauf an, wie man es anwendet. Wenn man als Partei auch jüngere Menschen erreichen möchte, muss man das machen. Wer von denen schreibt heute noch einen Brief an eine Abgeordnete? Ich habe sogar jemanden eingestellt, der sich via Twitter beworben hatte.

Haben Sie Sorge vor einer Banalisierung des Politischen?

Zeitungen müssen auch den Inhalt einer ganzen Geschichte in eine Schlagzeile quetschen. Man wirft ein Lasso aus, um die Menschen einzufangen – Sie mit einer Schlagzeile, wir mit einer Kurznachricht – um sie zu einer größeren Geschichte hinzuführen. Da sitzen wir im gleichen Boot.

Wersich:

Ich sehe die große Chance, über die sozialen Netzwerke direkt mit den Menschen zu sprechen. Aber wir stellen fest, wer sich nicht für Politik interessiert, tut das auch nicht im Netz. Meine Mutter hat früher über das Fernsehen gesagt: Es macht die Dummen dümmer und die Klugen klüger. So ist es mit den Neuen Medien auch. Es kommt darauf an, wie man sie anwendet, es geht um Medienkompetenz.

Stichwort Banalisierung: Frau Klöckner, Sie haben für Aufsehen gesorgt, weil sie in „Bild“ erklärt haben: „Ich habe 17 Kilo abgenommen“.

Klöckner:

Ich habe nichts erklärt: Denen ist aufgefallen, dass ich abgenommen habe, und die haben berichtet. Dagegen kann ich mich nicht wehren.

Nehmen Sie das denn gern mit, weil es Sympathiepunkte bringt? Oder stört es Sie, wieder auf die Themen Frau, Attraktivität, Gewicht reduziert zu werden?

Klöckner:

Ich habe nicht den Eindruck, dass die Bürger in solchen Kategorien denken...

Wersich:

...und mir fällt auf, dass nur Frauen danach beurteilt werden. Bei Olaf Scholz oder mir berichtet niemand über unser Gewicht.

Aber bei Joschka Fischer... Wie viel Privates müssen Politiker preisgeben?

Wersich:

Die Menschen wollen zu Recht mehr über die Persönlichkeit eines Bürgermeisterkandidaten erfahren. Man darf wissen, dass ich gern im Garten arbeite, dass ich Baumärkte toll finde, dass ich gerne Fußball spiele, Rad fahre und Kultur genieße. Aber: Politiker haben auch ein Recht auf Privatheit. Dazu gehört, wie es bei mir zu Hause aussieht. Und ich finde es gut, dass das in Hamburg mit unserer hanseatischen Zurückhaltung so akzeptiert wird.

Klöckner:

Ich finde es auch o.k., wenn die Leute wissen, dass ich gern Rennrad fahre und früher intensiv Tischtennis gespielt habe. Aber ich mag diese Amerikanisierung des Wahlkampfs, diese Inszenierung, nicht. Von mir gibt es keine Homestorys.

Frau Klöckner, Sie gelten als Vorkämpferin für die Rechte von Schwulen und Lesben. Wären Sie damit nicht besser in einer Großstadt wie Hamburg aufgehoben?

Klöckner:

Die Gesellschaft bei uns in Rheinland-Pfalz ist auch bunt und vielfältig. Es ist ja nicht so, dass man nur aufgrund der Seeluft seine sexuelle Orientierung findet. Die CDU ist eine Volkspartei der Mitte. Und zu der gehört, dass man verschiedenste Lebenswirklichkeiten im Blick hat. Wer Pflichten für einen Partner übernimmt, sollte auch Rechte bekommen. Daher habe ich mich für die steuerliche Gleichstellung bei eingetragenen Lebenspartnerschaften starkgemacht.

Herr Wersich, Sie haben in einem Interview Ihren Partner bewusst erwähnt. War Ihnen die Botschaft wichtig, dass Sie mit einem Mann zusammenleben?

Wersich:

Ich bin, wie ich bin, man ist kein besserer oder schlechterer Mensch deswegen. Es gehört zur Person dazu, und es gibt auch keinen Grund, das zu verstecken. Aber es ist für mich kein Profilierungsthema.

Der Eindruck war, dass Sie das den Hamburgern vor der Wahl mitteilen wollten, damit das nicht wie bei Ole von Beust von anderer Seite geschieht.

Wersich:

Wie man es macht, macht man es falsch. Wenn ein Politiker das Thema verschweigt, heißt es, der versteckt das. Wenn er es öffentlich macht, heißt es, er hänge das an die große Glocke. Ich habe nie ein Geheimnis daraus gemacht.

Klaus Wowereit hatte sich vor seiner Wahl zum Bürgermeister in Berlin offensiv geoutet. Hilft Homosexualität in Großstädten vielleicht sogar, Wählerstimmen zu gewinnen?

Klöckner:

Wenn man auch noch Frankfurt und Wiesbaden mit homosexuellen Oberbürgermeistern sieht, könnte man das denken. Aber per se hat der Homosexuelle nicht mehr Zustimmung als der Heterosexuelle. Entscheidend ist doch die Authentizität der Person. Ich glaube, die Menschen honorieren, wenn Politiker klar sind, wenn sie sich zu einer Entscheidung bekennen. Das kann die sexuelle Orientierung sein, aber genauso gut ein Sachthema.

Wersich:

Wir haben eine neue Normalität. Es hat auch früher schwule Minister und Ministerpräsidenten gegeben. Es war nur nicht öffentlich. Auch die gleiche Teilhabe von Frauen war früher eben nicht normal. Es geht nicht um Auszeichnung, sondern Normalität. Am Ende zählt Kompetenz. Nicht mehr und nicht weniger.