Familie Adler lebt an einer Straße in Lokstedt, die die Stadt zum Überschwemmungsgebiet erklärte. 5000 Eigentümer betroffen

Es ist Idylle pur: Unweit des Flüsschens Kollau und doch in der Großstadt leben Gisela und Winfried Adler am Wullwisch, gerade einmal 15 Autominuten von der Innenstadt entfernt. Die Straße ist ein Feldweg, die Häuser in der Nachbarschaft stehen weit genug entfernt, sodass Platz für einen großen Garten ist. „Wullwisch steht für Wollwiese“, erzählt der Rentner: „Wahrscheinlich wurde hier früher Torf gestochen.“ Lange her – und auch mit der Idylle ist es bei den Adlers wohl vorbei.

Anfang Juni hatte Stadtentwicklungssenatorin Jutta Blankau (SPD) die Einrichtung von elf Überschwemmungsgebieten abseits der Elbe verkündet. Die Straße Wullwisch gehört dazu, und die Adlers dürfen seit dieser Entscheidung auf ihrem Grundstück selbst die kleinste bauliche Veränderung nicht mehr ohne die Zustimmung des Bezirks vornehmen.

Der Grund hat mit dem Klimawandel und mit der dichteren Besiedelung von Metropolen zu tun. Heftigere Regenfälle führen dazu, dass kleinere Flüsse rascher als früher über ihre Ufer treten. Durch den Bauboom in der Hansestadt wiederum wird Boden versiegelt, sodass das Regenwasser nicht mehr richtig abfließen kann.

Für Familie Adler und die Nachbarn gilt hier quasi ein städtisch verfügter Baustopp – nur die Stadt selbst fühlt sich nicht daran gebunden: Ein paar Hundert Meter entfernt, am Hagendeel, will der Bezirk auf einer Wiese, die ebenfalls im Überschwemmungsgebiet liegt, eine Flüchtlingsunterkunft errichten. Um das Gelände aufschütten zu können, werden teure Entwässerungsgräben angelegt. Wenn die Stadt etwas wolle, bekomme sie es auch, kritisiert Adler. Er hingegen hat vor ein paar Tagen vom Bezirksamt ein Schreiben erhalten. Darin wird ihm und seiner Frau empfohlen, ein neues Haus auf Pfählen zu errichten.

„Wir wurden kalt enteignet“, sagt Adler. Seit der Ausweisung als Überschwemmungsgebiet sei sein Grundstück kaum mehr etwas wert. „Wer zieht schon in ein Haus, das bei starkem Regen Gefahr läuft, überflutet zu werden?“

Überschwemmungen sind für die Adlers kein Fremdwort. Seit mehr als 35 Jahren leben sie in einträglicher Nachbarschaft mit der Kollau. „Wir wussten immer, dass der Grundwasserspiegel nur einen Spatenstich tief liegt und bei längerem Regen der Garten matschig wurde“, erzählt Gisela Adler. Allerdings habe früher das Wasser lediglich außen am Haus gestanden. Drinnen blieb es hingegen trocken. Das hat sich in den vergangenen zehn Jahren geändert. Früher gab es kleinere Überschwemmungen des Gartens, erzählt Gisela Adler. „Die erste große erlebten wir im Jahr 2002. Da lief auch das Haus voll. Unser Parkettfußboden war hin.“

Die letzte große Überschwemmung gab es 2013. „Das Wasser kam von allen Seiten“, erzählt Winfried Adler. Das habe auch damit zu tun, dass viele Nachbarn inzwischen neu gebaut und dafür den eigenen Grund erhöht hätten. „Wir liegen in einer Senke, die sich bei Regen mit Wasser füllt.“

Zwei Wetterereignisse sorgen für Überschwemmungen: Sturzregen und drei Tage Landregen. Dann tritt die Kollau, die einst beim Bau der Güterumgehungsbahn begradigt wurde, über ihre Ufer und staut sich auf dem Weg zur Alster vor der Unterführung der Niendorfer Straße. Selbst Abflusskanäle werden zur Falle. Einmal habe er erlebt, wie das Wasser Fontänen gleich aus dem Gullis strömte, erzählt Adler. Wenn es so weit ist, bleibt den Adlers kaum Zeit, Vorkehrungen zu treffen. „Bei einem Wolkenbruch steht das Wasser innerhalb von zehn Minuten hier.“ Dass die Situation sich in den vergangenen zehn Jahren so verschärft habe, dafür trage die Stadt gehörig Mitschuld, glaubt Winfried Adler. „Durch die zahlreichen Neubauten in Eidelstedt sind große Flächen versiegelt worden, auf denen früher das Rückwasser der Kollau versickern konnte.“

Rund 400 Grundstückseigentümer sind entlang von Kollau und Tarpenbek von der städtischen Verfügung betroffen, sagt Heinrich Stüven, Chef des Grundeigentümerverbandes von Hamburg. Viele von ihnen hätten das Haus als Altersversorgung angesehen. Senatorin Blankau hatte bei der Vorstellung der Überschwemmungsgebiete einräumen müssen, dass in ganz Hamburg etwa 5000 Grundstückseigentümer betroffen seien.

Stüven ärgert sich darüber, dass die „Grundeigentümer einfach vor vollendete Tatsachen gestellt wurden und keine Möglichkeit bekamen, sich zu wehren“. Viele hätten von der Ausweisung der Überschwemmungsgebiete aus der Zeitung und dann erst auf Nachfrage bei den Bezirksämtern davon erfahren.

Adler verweist darauf, dass Bausenatorin Blankau und der Eimsbütteler Bezirksamtsleiter Torsten Sevecke öffentlich zugesichert hätten, man könne noch einen Bauantrag genehmigt bekommen, zumal die Überschwemmungsgebiete bislang nur angekündigt und gesetzlich verankert seien.

Diese Botschaft ist bei den Mitarbeitern des Bauamts offenbar nicht angekommen. Im persönlichen Gespräch mit den Adlers habe eine Beamtin des Bezirksamts gemeint: „Wir waren nicht glücklich darüber, wie Frau Blankau sich geäußert hat.“

Der Grundeigentümerverband fordert, dass die Behörden Bauanträge im Sinne von betroffenen Hauseigentümern entscheiden oder finanzielle Hilfe gewähren, um Häuser gegen Hochwasser zu sichern.

Wer zieht schon in ein Haus, das bei starkem Regen Gefahr läuft, überflutet zu werden? Winfried Adler