Ratsherrn nimmt in der Schanze eine Minibrauerei in Betrieb – für exotische Kombinationen

Mit dem deutschen Reinheitsgebot nimmt es Ian Pyle nicht all zu genau. Dass ein Bier nur Hopfen, Malz, Hefe und Wasser enthalten soll, hält der 31-jährige Kreativbraumeister der Hamburger Ratsherrn-Brauerei für eine Einschränkung seiner künstlerischen Freiheit. Es gibt schließlich so vieles, was sich mit dem klassischen Gerstensaft kombinieren lässt.

„Deutsches Bier ist in den vergangenen Jahrzehnten doch sehr einheitlich geworden“, sagt der US-Amerikaner mit einem gewinnenden Lächeln, das selbst eingefleischten Traditionalisten den Wind aus den Segeln nimmt. „Das würde ich gern ändern.“ Kürzlich hat Pyle beispielsweise eine Ladung Rotbier in ein ausrangiertes Whiskey-Fass geschüttet. Dort lagert es nun und nimmt langsam den Geschmack eines über Jahre gereiften Teeling Whiskeys aus Irland an. Eine erste Probe der rötlich-dunklen Mixtur schmeckt überraschend stimmig, Braumeister Pyle ist aber noch nicht ganz zufrieden und will die Kreation noch verfeinern.

Für gewagte Ideen wie diese hat die Ratsherrn-Brauerei mit Sitz in den historischen Schanzenhöfen den Amerikaner angeheuert. Während die Hamburger ihr Hauptgeschäft mit vergleichsweise konventionellen Sorten wie Pilsener und Rotbier machen, soll Pyle die wachsende Schar der experimentierfreudigen Biertrinker ansprechen.

Ende vergangenen Jahres braute Pyle daher schon mal ein Winterbier mit viel Zimt, Nelken, Sternanis und Orangenschalen ein. Daneben entwickelte er zusammen mit einer kleinen Truppe brauverrückter Studenten der TUHarburg ein Bier mit einem derart hohen Hopfenanteil, dass es aufgrund seines fruchtig-bitteren Geschmacks den Kiefer manch eines Testers zum Klappern brachte. Ein Name für das mittlerweile ausverkaufte Getränk war schnell gefunden. Pyle nannte es „Hoppin’ Jaws“ (frei übersetzt etwa hüpfender Kiefer), auf dem Etikett ist ein Haifisch mit gefletschten Zähnen und mit jeder Menge Hopfen im Maul zu sehen. Nichts für schwache Nerven also.

Musste der Kreativbrauer für seine Experimente bislang noch auf die Anlagen befreundeter Unternehmen zurückgreifen, so hat er jetzt auch seine eigene, kleine Minibrauerei zur Verfügung. Die blank polierten Edelstahltanks wirken auf den ersten Blick wie eine verkleinerte Ausgabe des großen Sudhauses ein paar Meter weiter, in dem die Ratsherrn-Biere mit einer Jahreskapazität von 50.000 Hektolitern hergestellt werden.

Doch nicht nur die Ausmaße unterscheiden die Minibrauerei von ihrer großen Schwester. „Ich habe hier viel mehr Eingriffsmöglichkeiten“, sagt er. Anstatt den Gerstensaft ganz ordentlich von der Maischepfanne in den Läuterbottich und dann in die Würzepfanne fließen zu lassen, kann Pyle den Prozess auch umkehren und die Anlage quasi rückwärtsfahren, wenn er der Meinung ist, dass die neue Kreation noch nicht optimal gelungen ist.

Seine Kenntnisse über das Brauen hat sich der Amerikaner ebenso in den USA wie in Deutschland angeeignet. Eigentlich wollte er mit einem Abschluss in Germanistik und Ethnologie mal Übersetzer werden, jobbte dann aber in Philadelphia in einem Shop namens The Foodery, der mehrere Hundert unterschiedliche Biersorten aus der ganzen Welt verkaufte. Pyle erkannte seine wahre Bestimmung, sattelte aufs Brauwesen um und absolvierte unter anderem ein Praktikum bei der Privatbrauerei Gröninger in Hamburg. Anschließend ging er zum Studium an die Technische Universität in München, eine der renommiertesten Ausbildungsstätte für angehende Bierexperten.

Zurück in den Vereinigten Staaten heuerte Pyle bei der Samuel Adams Brewery in Boston an, die zu den Pionieren der sogenannten Craft-Beer-Bewegung in den USA zählt und sich der Entwicklung handwerklich gebrauter, individueller Biere verschrieben hat. Zusammen mit zehn weiteren Braumeistern tüftelte er dort die wildesten Kreationen aus. Kürbisbier, das als Pumpkin Ale in den USA eine große Tradition hat, gehörte da zu den eher harmlosen Varianten. „Unsere verrückteste Idee war wohl ein Bloody-Mary-Bier“, erzählt der Amerikaner. Der Versuch, ein Bier mit dem Cocktail aus Tomatensaft, Wodka und Gewürzen zu kreuzen, sei aber selbst für ihn grenzwertig gewesen.

Wieder nach Hamburg kam Pyle nicht zuletzt der Liebe wegen. Seine heutige Frau Jennifer stammt aus der Hansestadt, die zwei lernten sich in Deutschland kennen. Mittlerweile haben sie zusammen eine kleine Tochter und leben in unmittelbarer Nähe der Ratsherrn-Brauerei.

Auch wenn Ian Pyle bei der Entwicklung neuer Biere kaum Grenzen kennt und auf exotische Ingredenzien zurückgreift, so arbeitet er am liebsten doch mit den klassischen Zutaten Hopfen, Malz und Hefe. Wie zum Beweis führt der Braumeister in seine „Schatzkammer“, einen auf mehrere Grad unter null heruntergekühlten Lagerraum, in dem seine liebsten Hopfensorten aus den Vereinigten Staaten zu finden sind. Die Sorte Simcoe findet sich hier, die dem Bier einen Geschmack nach Zitrus, Grapefruit und Maracuja verleiht. Amarillo-Hopfen gibt hingegen eher einen süßlich-orangenartiges Aroma.

Fast noch wichtiger als die Hefe ist für Braumeister Pyle das Malz. „Es ist die Seele des Bieres.“

Jeden Monat will Pyle eine neue Sorte vorstellen, die es dann im Craft-Beer-Store der Ratsherrn-Brauerei und im angrenzenden Gasthaus Altes Mädchen zu kaufen gibt.