Jeder Stadtteil hat seine eigene Geschichte. Der Historiker und Abendblatt-Redakteur Dr. Matthias Schmoock hat sich auf eine Zeitreise begeben

Der heutige Stadtteil liegt überwiegend auf dem Billwerder (auch -wärder) Ausschlag, einem Teil der Insel Billwerder. Mit „Ausschlag“ wurde dabei ursprünglich der nicht eingedeichte Bereich nordwestlich vor dem Dorf Billwerder bezeichnet, der schon seit 1383 zu Hamburg gehörte.

Die Hamburger Kaufmannsfamilie Rodenburg hatte dort viel ehemaliges Bauernland erworben, das sich unter dem Namen Rodenburgs Ort zu einer beliebten Ausflugsgegend entwickelte. Heute befindet sich an dieser Stelle Trauns Park. Wohlhabende Familien ließen hier, wie beispielsweise auch in Billwerder oder Tatenberg, ihre Landhäuser erbauen, um der engen Stadt den Rücken zu kehren und stattdessen den Blick über die einsame Landschaft zu genießen. Doch diese Ära währte nicht lange, weil die stadtnahen Quartiere – anders als zum Beispiel die Elbvororte – viel stärker dem Industrialisierungsdruck ausgesetzt waren. Schon ab 1850 hatten sich im westlichen Billbrook große Betriebe angesiedelt, die nun immer raumgreifender wurden.

Im ausgehenden 19. Jahrhundert entwickelten sich der Norden und der Nordosten der Gegend binnen kurzer Zeit zu Industriegebieten. Nach dem Zollanschluss und dem Bau des Freihafens zogen etliche der heimatlos gewordenen (Hafen)-Arbeiterfamilien hierher, ergänzt durch Zuwanderer aus anderen Landesteilen, die in Hamburg ihr Glück suchten. Die Bevölkerungszahlen stiegen geradezu dramatisch an und lagen für Billwerder Ausschlag beziehungsweise Rothenburgsort im Jahr 1894 schon bei rund 40.000.

Dass bereits damals beide Ortsnamen für das Industrie- beziehungsweise Hafenarbeiterquartier benutzt wurden, erklärt sich so: 1871 wurde Billwerder Ausschlag (inklusive Billhorn) Vorort und später (1894) Stadtteil, obwohl der viel eingängigere Name Rothenburgsort als Ortsbezeichnung überall benutzt wurde. 1938 folgte die offizielle Unterteilung in Billwerder Ausschlag und Rothenburgsort, wobei der damalige Vorort/Stadtteil Billwerder Ausschlag flächenmäßig fast mit dem heutigen Rothenburgsort identisch war. Erst 1970 wurden beide wieder zusammengeführt – diesmal endgültig als Rothenburgsort, dessen Name sich durchgesetzt hatte.

Zurück ins 19. Jahrhundert. Der Massenansturm hatte viele soziale Probleme mit sich gebracht und Rothenburgsort stark verändert. Überall waren Hafenarbeitersiedlungen errichtet worden – zum Teil in düsterer Hinterhofbebauung. Der Rothenburgsorter Volksschullehrer Hermann Junge beschreibt in seinen Lebenserinnerungen, wie die Cholera-Epidemie des Jahres 1892 in den dicht zusammengedrängten Wohnvierteln besonders schlimm gewütet hatte.

Doch Rothenburgsort hatte auch schöne Seiten, und viele Menschen lebten gern hier. Rund um den Billhorner Röhrendamm unterhielten namhafte Geschäfte ihre Filialen, darunter Karstadt und Leder Schüler. Heute zum Teil vergessene Firmen sicherten einst viele Arbeitsplätze: die Bill-Brauerei, die Reismühle und die Schlesische Dampfer Compagnie Berliner Lloyd zum Beispiel.

Genau wie das benachbarte Hammerbrook wurde Rothenburgsort bei Luftangriffen im Zweiten Weltkrieg geradezu vernichtet. Unzählige Menschen starben, nur eine Handvoll Häuser blieb stehen. Die einst lebendige Kreuzung Billhorner Brückenstraße/Billhorner Röhrendamm besteht heute fast nur noch aus Asphaltschneisen, zeitweilig wurde sogar der Wiederaufbau der Bahnstation infrage gestellt.

Rothenburgsort-Chronist Roland Burmeister hat Rothenburgsort einmal als einen Stadtteil „ohne Glück und ohne Glanz“ bezeichnet. Mal sehen, was ihm die Zukunft bringt.

Das stadtnahe Rothenburgsort war – anders als die Elbvororte – dem Industrialisierungsdruck ausgesetzt.