Jeder Stadtteil hat seine eigene Geschichte. Der Historiker und Abendblatt-Redakteur Dr. Matthias Schmoock hat sich auf eine Zeitreise begeben

Um es gleich vorwegzunehmen: Den Namen gebenden Berg gibt es schon seit 130 Jahren nicht mehr. Eigentlich war der Dulsberg auch nur ein sehr großer Sandhügel, der – nach heutiger Ortsbezeichnung – zwischen Krause- und Probsteier Straße gelegen hatte. Schon in den 1880er-Jahren war er abgegraben worden, weil der Sand für diverse Bauprojekte gebraucht wurde. Direkt hinter der Barmbeker Grenze lagen die Felder des Großbauern Dreckmann, ansonsten war die Dulsberger Feldmark um die Mitte des 19. Jahrhunderts eine ziemliche Einöde. Die Ärmsten der Armen lebten hier, Tagelöhner, Heimarbeiter, Arbeitslose. Einige arbeiteten als Besenbinder, andere als Hausierer oder Erntehelfer. Die ersten Dreckmannschen Insthäuser hatten keinerlei Versorgungsleitungen, die später entstandenen waren etwas menschenfreundlicher gebaut.

Mit dem Ausbau des Osterbekkanals (der Aushub wurde für den Bau neuer Bahndämme gebraucht) drängte Hamburgs Industriegürtel bis an die Dulsberger Feldmark. Am Alten Teichweg entstanden unter anderem 1910 die Fischkonservenfabrik Walkhoff und 1912 eine riesige Müllverbrennungsanlage mit zwei je fast 60 Meter hohen Schornsteinen. Damit wurde im Grunde eine triste Tradition fortgesetzt, denn auch von Wandsbeker Seite hatte man über viele Jahrzehnte alles in Richtung Dulsberg abgeschoben, was in der Stadt nicht erwünscht war. In einer Chronik, veröffentlicht von der Dulsberger Geschichtswerkstatt, heißt es dazu: „Wie Perlen an einer Kette reihte sich am Grenzweg gegenüber dem Dulsberger Land im 19. Jahrhundert, was die Bürger in Wandsbek aus hygienischen und sozialen Gründen aus dem wachsenden ,Fabrikort‘ an dessen äußersten Rand verlegt wissen wollten.“ Dazu gehörten unter anderem Gaswerk, Friedhof, Armenhaus und diverse Militäranlagen.

Als in der Stadt der Wohnraum immer knapper wurde, geriet das Land am nordöstlichen Stadtrand für mögliche Bauvorhaben ins Blickfeld, die Gegenden, die heute die Stadtteile Barmbek-Nord und Dulsberg bilden. 1894 war Dulsberg als Teil Barmbeks Hamburger Stadtteil geworden, ein eigener Stadtteil wurde es erst 1951. In einem ersten Bebauungsplan war der Dulsberg noch ausschließlich für die Ansiedelung mit Industriebetrieben vorgesehen, erst in der revidierten Fassung war dann auch Wohnbebauung mit eingeplant. 1914 speckte man die Pläne noch einmal ab, ein Rangierbahnhof und die Industriebauten wurden gestrichen. Schließlich gelang es Oberbaudirektor Fritz Schumacher, in den noch einmal reformierten Bebauungsplan größere Grün- und Ruhezonen einzubauen und die Höhe der Wohnblocks abzusenken. Die Bebauung bot nun viele Gestaltungsmöglichkeiten, experimentierfreudig ging man ans Werk. Erklärtes Ziel war es, ruhige und gesunde Wohnverhältnisse für die wirtschaftlich schwach gestellte Bevölkerung zu schaffen.

Nahezu alle führenden Architekten Hamburgs, unter ihnen Hans und Oskar Gerson, Erich zu Putlitz und Rudolf Klophaus, waren in den 1920er-Jahren an den Entwürfen beteiligt, wobei die Gesamtverantwortung in den Händen von Schumacher lag. 1923 war der erste Bauabschnitt fertiggestellt. Die Siedlung Dulsberg zeichnete sich schließlich durch parallel geordnete Blocks in Zeilenbauweise aus. Die vielen Grünflächen, Gärten, Duschen und Sonnenbäder auf den Dächern waren für Kleinwohnungsbau der damaligen Zeit äußerst ungewöhnlich und fanden landesweit große Beachtung. Dem Kinderreichtum vieler Familien begegnete man mit Spielplätzen, Planschbecken und großen, grünen Innenhöfen. Damit war in Dulsbergs neuen Häusern aber noch lange nicht alles eitel Sonnenschein.

Das Alltagsleben war jahrelang durch die Folgen der Weltwirtschaftskrise geprägt. „Arbeitslosigkeit und sinkende Sozialunterstützung zogen Zwangsräumungen und schwerwiegende persönliche Notlagen nach sich“, heißt es in der Dulsberg-Chronik. Auch litten die Bewohner noch jahrelang unter dem Gestank der unmittelbar angrenzenden Industrieanlagen.

Auch Dulsberg wurde im Zweiten Weltkrieg durch Luftangriffe fast völlig zerstört, und manches verschwand für immer. Das nordwestlich der Nordschleswiger Straße gelegene Wendebecken des Osterbekkanals wurde mit Trümmerschutt aufgefüllt, die Reste der schon 1939 stillgelegten Müllverbrennungsanlage gesprengt. Die in ihrer Gesamtstruktur als vorbildlich geltende Siedlung wurde in Teilen wiederaufgebaut. Dulsbergs ungewöhnliche Architektur lebte weiter.