Jeder Stadtteil hat seine eigene Geschichte. Der Historiker und Abendblatt-Redakteur Dr. Matthias Schmoock hat sich auf eine Zeitreise begeben

Salopp formuliert könnte man das alte Lokstedt als Hamburgs Partydorf bezeichnen. Wer es um 1900 in Eimsbüttel zu verbaut und in Niendorf zu ländlich fand, konnte bis nach Lokstedt fahren, dort einen ausgedehnten Spaziergang unternehmen, um dann ebenso ausgiebig in einem der vielen Gasthöfe und Kaffeegärten einzukehren.

Lokstedt hatte lange zur Haus- und Waldvogtei der Herrschaft Pinneberg gehört und war nach 1866 preußisch geworden. Wegen seiner schönen Lage, der guten Luft und der vielen Gartenanlagen wurde es früh als Ausflugsziel entdeckt. Genau zwischen Hamburg und Pinneberg stand damals – dort, wo Grandweg und Hoheluftchaussee zusammenlaufen – das Grenzhaus Hoheluft, in dessen Garten sich einst bis zu 1000 Gäste tummelten. Beliebt waren auch Gasthof Münster am Siemersplatz, der erst vor wenigen Jahren abgerissen wurde, und der gegenüber liegende Lindenpark. Auf Höhe der heutigen Grelckstraße, der früheren Königstraße, standen das Gasthaus Waldeslust und der Holsteinische Hof, auch Hintzes Kaffeegarten war angesagt.

1891 erhielt Lokstedt elektrische Straßenbeleuchtung – als erstes Dorf Deutschlands. Ab dem frühen 20. Jahrhundert setzte – wie überall in Hamburg und der näheren Umgebung – eine rege Bautätigkeit ein, die zur Zweiteilung Lokstedts führte. Einerseits fanden sich ruhige Villenkolonien, andererseits Gewerbe- und sogar Industriebauten. Ganz in der Nähe des Zylinderviertels gab es schon früh Firmen wie Valvo-Radio-Röhren, die Keksfabrik J. G. Kemm, das Sägewerk Fischer und die Großbäckerei Nur Hier. An beiden Seiten des Grandwegs standen große Gärtnereien, darunter Havemann & Voß, Willin und Boettcher.

Unternehmer aus Lokstedt und Hamburg ließen sich in der Gegend prachtvolle Häuser errichten, die den Lokstedtern wie kleine Schlösser vorkamen. Das 1870 errichtete Anwesen von Kaufmann Wilhelm Amsinck ist so ein Prachtbau – genau wie Carl Heinrich von Eickens Villa am Rütersberg. Beide waren von riesigen Gärten umgeben, die heute Parks sind und – natürlich – Amsinck- und Von-Eicken-Park heißen.

Die Verschiedenheit der einzelnen Ecken prägt bis heute das Erscheinungsbild des Stadtteils. 1927 wurde das beliebte Lokstedt mit Niendorf und Schnelsen zur Großgemeinde Lokstedt zusammengelegt, nachdem auch Groß-Altona – vergebens – versucht hatte, sich das Dorf einzuverleiben. 1937/38 kamen alle drei zu Hamburg. Älteren Hamburgern ist die 1929 eingerichtete „Dirt Track“-Motorradbahn beim heutigen Gazellenkamp (ehemals Kampstraße) noch in Erinnerung, die inzwischen zum NDR-Gelände gehört.

Beim Lokstedter Schmied ließ Hagenbeck jahrelang Ponys beschlagen und Pferdewagen überholen. Viele Hagenbeck-Besucher stoppten mit der „Elektrischen“ in Lokstedt und gingen dann zu Fuß zum Tierpark weiter. Die heutige Julius-Vosseler-Straße, die früher Carlstraße hieß, wurde erst Anfang der 1960er-Jahre nach Stellingen verlängert. Im Zuge von Straßenerweiterungen wurde rings um den Siemersplatz später noch jede Menge alte Bausubstanz abgebrochen.

Noch bis zum Zweiten Weltkrieg war die Straßenbahn eingleisig durch die Kollaustraße gefahren, und ein im Freien stehender Bahnposten gab per Hand die Signale – rot und grün. Wenn es dunkel wurde, nahm er eine Lampe mit rotem beziehungsweise grünem Fenster – so einfach war das. In den 50er-Jahren fuhr die Straßenbahn schon zweigleisig, dann setzten sich Autos und Busse immer stärker durch. „Ob von Osten, Süden, Westen oder Norden, alles fährt über den Siemersplatz“, steht in der Lokstedt-Chronik von Ursula Aldag. Das stimmt leider. In anderen Städten hätte man solche Kreuzungen längst unter die Erde verbannt, aber Hamburg hat sein Geld lieber anderweitig ausgegeben.

1891 erhielt Lokstedt als erstes Dorf in Deutschland eine elektrische Straßenbeleuchtung.