Besuch bei der Bruderschaft ehrbarer, trinkfreudiger Hanseaten in Ottensen

Es sind Stunden geistvollen Genusses, die uns nur Götter wie Bacchus geschenkt haben können. So wie diese Mußerunde in der Weinstube Zur Traube in Ottensen, einem der kultiviertesten Lokale der Stadt. Die Bezeichnung Schankwirtschaft hat es sich wahrhaftig verdient. Anno 1880 wurde der Grundstein des Hauses gelegt; kunstvolle Schnitzereien in der Wandvertäfelung zeigen 30 Zünfte. Mancher erlesene Tropfen aus dem Keller wurde hier genossen. Die Atmosphäre ist inspirierend und urgemütlich.

Am Holztisch zwischen Theke, Fass und Fenster sitzen drei in die Jahre gekommene Knaben und laben sich an einem süffigen Frühburgunder: „Prosit, hoch lebe die Weinbruderschaft zu Hamburg!“ Diese Interessengemeinschaft kultivierter Lebenskünstler feierte gerade ihren 50. Geburtstag. Zum Jubiläumsfest im Übersee-Club am Neuen Jungfernstieg waren auch die Damen der 31 Mitglieder geladen. Smoking und Abendkleid sind dabei nicht nur Pflicht, sondern Vergnügen.

Kommt es doch nicht auf Promille, sondern auf die passende Philosophie an. Man trifft sich mit dem Ziel, in Gemeinsamkeit Weine zu probieren, diese zu besprechen – und zu genießen. „In unserer Ordensgemeinschaft leben wir traditionell eine von Freundschaft getragene Geselligkeit im Zeichen der Weinkultur“, sagt Ordensmeister Horst Riechert, eine Art Präsident, und prostet seinen beiden Gesinnungsgenossen und Freunden zu. Getreidekaufmann Riechert, 73 Jahre alt und im Herzen jung, ist das letzte lebende Gründungsmitglied der Bruderschaft.

Ins Leben gerufen wurde die Vereinigung im November 1963 im Ratskeller. Das Gros der 51 Gäste besteht damals wie heute aus Kaufleuten und Hanseaten unterschiedlicher Berufe. Apotheker waren und sind stark vertreten. Ein Schelm ist, wer sich dabei etwas Besonderes denkt. Handelt es sich bei diesem Stand doch offensichtlich um Menschen mit Zeit und ausgeprägtem Sinn für Kultur und Geselligkeit.

In der Gemeinschaft der deutschsprachigen Weinbruderschaften sind 50 Vereine mit mehr als 6500 Mitgliedern vertreten. Alle haben sich der Bewahrung und Förderung der Weinkultur sowie der Vertiefung des Wissens verpflichtet. Die historische Bedeutung findet sich im ausgehenden Mittelalter in den aufstrebenden Städten Europas. Nach langer Versenkung wurden die Bruderschaften nach dem Zweiten Weltkrieg neu gegründet – frei von wirtschaftlichen Interessen. Die Pflege des Kulturgutes Wein ist in der Satzung festgeschrieben.

In der Praxis hat das nicht nur ehrbaren, sondern auch süffigen Charakter. Um Schluckspechte handelt es sich nicht, wird betont. Um Kostverächter und Asketen gleichfalls nicht. Dass die monatlichen Zusammenkünfte dennoch feuchtfröhlicher Natur sind, streiten die Herren nicht ab. Wobei die männliche Note wörtlich zu nehmen ist: Frauen haben in der Bruderschaft keinen Platz. Am Anfang eines jeden Jahres steht ein Ordenskonvent auf dem Programm.

Einmal monatlich wird erlesenen Rebensorten, aber auch intensivem Klönschnack gefrönt. In der Regel treffen sich die Herren bei Kellermeister Willi Moormüller im Weinlager von Kapff in der Stresemannallee in Eimsbüttel. Dessen Stammhaus wurde anno 1643 in Bremen gegründet.

Novizen sind zum Schnuppern und Mittrinken willkommen, benötigen jedoch neben einer weißen Weste und Frohsinn einen Bürgen zum Eintritt. Man sollte sich kennen, bevor man sich bindet. „Jackett und Krawatte sind bei uns ein ungeschriebenes Gesetz“, sagt Klaus Beplat. Der promovierte Volkswirt und Ordenschronist verweist als Grund auf einen „großen Respekt vor dem Wein“. Das Du sei keinesfalls Pflicht, indes Usus. Ganz bewusst will man sich nicht mit Kumpels, sondern mit Seelenverwandten umgeben. Im Laufe der Jahre seien private Freundschaften entstanden.

Die Zusammenkünfte werden nach festgelegtem Ritual zelebriert. Nach einem Sekt oder Crémant als Ouvertüre bittet der Ordensmeister an die Tafel. Nach drei Schlägen mit dem Hämmerchen heißt es sodann: „Herzlich willkommen zur Probe.“ Nach und nach werden gut zehn unterschiedliche Weine getrunken – in kleinen Schlucken natürlich nur. Schließlich soll alles im hanseatisch gesitteten Rahmen bleiben. Über die klitzekleine Ausnahme eines grandiosen Portwein-Tests einst in Osdorf soll an dieser Stelle Schweigen gewahrt werden.

Um Turbulenzen im Keim zu ersticken, werden zwischendurch Brot und Käsewürfel gereicht. „Meist ist vor Mitternacht Schluss mit lustig“, berichtet Brudermeister Heinrich Drespe, so etwas wie ein Vizepräsident.

Erneut prostet sich das Trio in der Traube zu. Die Gentlemen, denn darum handelt es sich, erzählen von Winzervorträgen, Weinreisen in deutsche Lande, nach Südafrika und Portugal, von Studien über Hanglagen, Rebensorten und Flaschenverschlüsse. Erstaunlicherweise sind sich die Herren einig: Korken sind zwar eine Zier, aber keinesfalls unbedingt die bessere Lösung. Zu dieser Erkenntnis haben umfangreiche Selbstversuche beigetragen.

Nach gut zwei fidelen, unterhaltsamen Stunden erfährt der neugierige Zuhörer, dass bei der Weinbruderschaft zu Hamburg der Begriff „Wissensdurst“ einen neuen, tieferen Sinn ergibt.

Wir leben Geselligkeit im Zeichen des Kulturgutes Wein.