Jeder Stadtteil hat seine eigene Geschichte. Der Historiker und Abendblatt-Redakteur Dr. Matthias Schmoock hat sich auf eine Zeitreise begeben

Dass Rahlstedt einmal so riesig werden würde wie eine mittlere Kleinstadt heutiger Prägung, war um 1200 natürlich nicht zu ahnen. Damals wurde die Altrahlstedter Kirche errichtet – heute das mit Abstand älteste Bauwerk im Stadtteil. Schon im 13. Jahrhundert gab es gleich zwei Dörfer, sozusagen im Doppelpack: Sowohl Rahlstedt (1248) als auch Neurahlstedt (1288) wurden damals erwähnt. Aus Rahlstedt machte man schließlich zunächst Altrahlstedt.

Die Rahlstedter Heide muss eine unwirtliche Gegend gewesen sein – irgendwie gerade richtig als Kriegsschauplatz. Im Dreißigjährigen Krieg nahmen die Feldherren Tilly und Wallenstein im Dorf Quartier, und während der Franzosenzeit kam es zu heftigen Gefechten zwischen dänischen und russischen Truppen. Den Rahlstedtern wurde damals viel abverlangt. 1814 mussten sie rund um die Uhr russische Soldaten und ihre Pferde versorgen – ein Zustand, der fast das ganze Jahr über andauerte. Von 1773 an gehörte Rahlstedt zu Dänemark, 1864 fiel es an Preußen. Beim Bahnhof erinnert übrigens ein Findling an den 1848er Aufstand der Schleswig-Holsteiner gegen die Dänen. 1865 eröffnet die Lübeck-Büchener Eisenbahn, drei Jahre später erhält Altrahlstedt eine kleine Haltestelle.

Ein weiterer Schritt in Richtung neue Zeit ist die Eröffnung der Kaiserlichen Postagentur Altrahlstedt anno 1873. Im Jahr 1927 entstand das echte, einzige – und ganze Rahlstedt, als nämlich Altrahlstedt, Neurahlstedt und andere preußische Landgemeinden, darunter Oldenfelde und Meiendorf, zusammengeschlossen wurden. Die Großgemeinde hatte rund 10.000 Einwohner. Mit dem Groß-Hamburg-Gesetz erfolgte 1937/38 die Anbindung an die Hansestadt.

Als Glücksfall für Rahlstedt erwies sich die Errichtung einer richtigen Bahnstation im Jahr 1893. Zum einen bildete der Bahnhof ein sehr lebendiges Ortszentrum, zum anderen erlebte die gesamte Gegend einen enormen Aufschwung. Damals wurde Rahlstedt als Wohnort für Hamburger attraktiv, die von einem eleganten eigenen Haus träumten, sich aber keine Villa innerhalb der hamburgischen Stadtgrenze leisten konnten. 1892 hatte Julius Simmonds ein Herrenhaus für sein Gut Höltigbaum errichten lassen, außerdem ließ er rund um den im Bau befindlichen Bahnhof Straßen anlegen und teilweise bebauen. Es begann ein regelrechter Bauboom, und überall in Rahlstedt findet man noch heute schmucke Einzelhäuser und Villen aus dieser Zeit. Zahlreiche Straßen wurden ausgebaut, darunter Bahnhofstraße, Amtsstraße und Oldenfelder Straße, 1898 bekam Altrahlstedt ein eigenes Elektrizitätswerk und Straßenbeleuchtung.

Zur Jahrhundertwende hatte jede Dorfgemeinde im Amtsbezirk Altrahlstedt eine eigene Volksschule, und von 1904 an kamen die „Altrahlstedter Neuesten Nachrichten“ heraus. 1905 wurde das Verwaltungsgebäude des Amtsbezirks fertiggestellt, das über Jahrzehnte Standesamt, Einwohnermeldeamt und Polizei unter seinem Dach beherbergte.

Seit 1901 lebte der Schriftsteller Detlev von Liliencron an der Altrahlstedter Bahnhofstraße. Liliencron, als Lyriker ein wichtiger Vertreter des deutschen Impressionismus, starb schon acht Jahre später, aber in Rahlstedt ist man so stolz auf den Dichter, als hätte er hier sein ganzes Leben zugebracht. Liliencrons Grab liegt hier, und es gibt natürlich – seit 1934 – ein Denkmal. Aber sein Wohnhaus war 1973 schnöde abgebrochen worden, das heutige Detlev-von-Liliencron-Haus wurde erst viel später gebaut. Der Liliencronpark entstand in den Jahren 1932/33, nachdem die Gemeinde Rahlstedt den alten Mühlenteich gekauft hatte, der dann trockengelegt und aufgefüllt wurde.

Genauso schnöde verfuhr man viel später mit dem Haus des etwas skurrilen Künstlers Heinrich Steinhagen (1880–1948). Steinhagen, einer der Mitbegründer der Hamburgischen Sezession, hatte in den 1920er-Jahren damit begonnen, in Rahlstedt selbst ein Haus aus Holz und Lehm zu bauen. Er stellte alles in Eigenarbeit her, die Kunst, so seine Idee, sollte das ganze Haus durchdringen. Anfang der 1960er-Jahre wurde das Gesamtkunstwerk sang- und klanglos abgebrochen, das Inventar zerstört.

1922 waren die Gemeinden Altrahlstedt, Neurahlstedt und Oldenfelde an das Bergedorfer Gaswerk angeschlossen worden, ein Jahr später wurde die Wilhelmstiftung errichtet – das heutige Kinderkrankenhaus Wilhelmstift.

1936 begann die Errichtung des Standortübungsplatzes Höltigbaum, kurz darauf folgte der Bau von Boehn- und Graf-Goltz-Kaserne. Im Zweiten Weltkrieg hatte Rahlstedt mehr Glück als andere Hamburger Ecken, „nur“ 32 Häuser wurden zerbombt. Doch vieles, was vom Krieg verschont geblieben war, ließ man später abreißen und die Grundstücke neu bebauen.

In Rahlstedt ist man so stolz auf den Dichter Detlev von Liliencron, als hätte er sein ganzes Leben dort verbracht.