Als Boxer war Artur Grigorian der „König von Wandsbek“. Heute kämpft er um seine Zukunft

Dies ist die Geschichte eines Königs. Eines Königs ohne Land, ohne Krone, und vielleicht auch ohne Zukunft. Es ist die Geschichte eines traurigen Clowns, der in seinem Leben so vielen Leuten Spaß bereitet hat, und der sich jetzt fragt, wo all der Spaß geblieben ist. „Ich habe in meinem Leben viel Glück gehabt und auch einiges an Unglück und Unsinn erlebt. Aber eine solch schlimme Zeit wie jetzt hatte ich noch nie“, sagt er.

Artur Grigorian, geboren vor knapp 46 Jahren als Sohn armenischer Eltern in Usbekistans Hauptstadt Taschkent, war zwischen April 1996 und Januar 2004 WBO-Weltmeister im Leichtgewicht. Er kämpfte für den Hamburger Universum-Stall von Klaus-Peter Kohl, und wenn er in Hamburg in den Ring stieg, dann war die Sporthalle im Bezirk Wandsbek, wo Grigorian bis heute im Stadtteil Jenfeld lebt, voll. Der 171 Zentimeter kleine Athlet begeisterte seine Fans mit seiner Schnelligkeit, seiner technischen Raffinesse und dem Schalk, der ihm im Nacken saß. „König von Wandsbek“, so nannten sie ihn damals. Als er am 16. November 1996 seinen Titel zum zweiten Mal verteidigte, da traten in seinem Vorprogramm zwei schwergewichtige Brüder an, die später zu Weltstars werden sollten. Dass jene Klitschkos einst sein schmückendes Beiwerk waren, erzählt Artur Grigorian noch immer mit diebischer Freude.

Grigorian ist einer dieser Menschen, die sich weigern, erwachsen zu werden. „Artur ist ein liebenswerter Chaot, ein erwachsener Mann mit dem Gemüt eines Kindes“, sagt Fritz Sdunek, Grigorians ehemaliger Trainer und längst einer der wichtigsten Menschen im Leben des Boxers.

Grigorians Abstieg begann, als er 2002 in große finanzielle Schwierigkeiten geriet. Er hatte seine in 19 WM-Kämpfen verdienten Millionen einem Freund anvertraut, der sie fast komplett in Immobiliengeschäften verzockte. Sieben Wohnungen, drei in Berlin und vier in Magdeburg, verlor Grigorian. Als er, tief unter dem Eindruck der finanziellen Pleite stehend, im Januar 2004 auch noch seinen WM-Titel verlor, stand er am Scheideweg. Promoter Kohl hatte das Vertrauen in seinen Vorzeigesportler verloren, „ihm fehlte die Frische, die Schnelligkeit war weg“, sagte er damals. Man einigte sich, einen Abschiedskampf zu veranstalten und dann die Karriere als beendet zu erklären.

Es war Sdunek, der seinen Schützling eine neue Chance bot. Auf Betreiben Kohls, der Grigorian nach dessen finanzieller Bauchlandung auch monetär unterstützt hatte, durfte der gestrandete Ex-Weltmeister als Assistent seines Cheftrainers anfangen. Sdunek weihte Grigorian in die Geheimnisse des Trainerberufs ein, er versuchte ihm die Gestaltung sinnvoller Trainingspläne näherzubringen, was nicht wie gewünscht funktionierte, da Grigorian viele Situationen mit Intuition löste, mit seinem Gespür für das Boxen und den Boxer. Doch für ihn war dieser Weg genau richtig, die Sportler schätzten sein Wissen und sein Einfühlungsvermögen. „Artur ist ein guter Trainer geworden, weil er die Sprache der Sportler spricht und sehr gut erklären kann“, sagt Sdunek.

Grigorian genoss die Zeit bei Universum. Die sorglosen Jahre zwischen 2004 und 2009, als das Unternehmen zum Weltmarktführer aufstieg und zeitweise bis zu 60 Boxer unter Vertrag hatte, waren für einen Trainernovizen wie ein Versuchslabor.

Der Abstieg, der ihn in das tiefste Tal seines Lebens führen sollte, begann im Juli 2010. Universum verlor den millionenschweren TV-Vertrag mit dem ZDF, ein Jahr später übergab Kohl die Geschäfte an seinen Nachfolger Waldemar Kluch, unter dessen Führung Universum im Herbst 2012 Insolvenz anmelden musste. Grigorian war einer der Letzten, die die Stellung hielten; auch noch, als niemand mehr an eine gute Zukunft glaubte.

Ein Gehalt von 2000 Euro brutto im Monat, das zuzüglich der Prämien aus Kämpfen seiner Sportler reichte, um die vier Kinder – 23, 21, 15 und zehn Jahre alt – durchbringen zu können. Doch seit dem Aus Universums steht auch Grigorian vor dem Abgrund.

Auf Honorarbasis arbeitet er noch mit dem Halbschwergewichtler Ismail Özen, lose Kontakte gibt es zum Hamburger Sozialprojekt „Box-Out“, und natürlich hat auch Sdunek wieder Herz gezeigt und ihn als Assistenten für seine Arbeit mit dem Hamburger Halbmittelgewichtler Jack Culcay ins Boot geholt. Zusammen mit dem Arbeitslosengeld, das Grigorian bekommt, reicht das Einkommen gerade so, um sich und die Familie über Wasser zu halten.

Ende Oktober aber läuft die Förderung durch die Arbeitsagentur aus, und dann steht der einstige „König von Wandsbek“ vor einer ungewissen Zukunft. „Ich will arbeiten, egal wo. Ich habe keine Angst vor harter Arbeit“, sagt er. Aber er hat Angst davor, dass für ihn nichts mehr kommt. Er ist ehrlich genug zuzugeben, „dass ich nichts anderes kann als Boxen. Ich war Weltmeister, wurde Trainer und dachte, dass ich das bis zu meinem Ende machen kann.“

Ich war Weltmeister, wurde Trainer und dachte, dass ich das bis zu meinem Ende machen kann.