Wie ein Professor mit einer virtuellen Welt Firmen bei der Personalentwicklung hilft

Häufig will Harald Geißler, Professor an der Universität der Bundeswehr in Hamburg, in seinem Arbeitszimmer nicht gestört werden. Dann fährt er den Computer hoch, geht auf seine Online-Plattform, greift zum Telefonhörer und begibt sich zum Schluss in virtuelle Welten. Dort wimmelt es nur so von Avataren. Das sind künstliche Personen aus dem digitalen Kosmos, der seit einigen Jahren auch „Second Life" genannt wird.

Was nach Spielerei und Realitätsflucht aussieht, ist für den 63 Jahre alten Erziehungswissenschaftler harte Arbeit mit realen Menschen. Denn der Hamburger Forscher gilt weltweit als der Erfinder einer besonderen Form der Personalentwicklung, die als „Virtuelles Coaching“ Furore macht.

Geißler ist es gelungen, traditionelles Coaching mit den Möglichkeiten der digitalen Medien auf der Basis eines fundierten pädagogischen Konzepts zu verbinden. Es setzt nicht mehr auf den direkten, personalen Kontakt zwischen Trainer und Klient, sondern nutzt dafür ausschließlich die technisch vermittelte Kommunikation. Wer sich wo gerade auf der Welt aufhält, ist zweitrangig.

Harald Geißler sitzt in seinem Arbeitszimmer und schaltet den Laptop an. Auf dem Fußboden döst Labrador Oscar, während Geißler seine Plattform „Virtuelles Coaching“ anklickt und sagt: „Virtuelles Coaching bietet zwei Vorteile. Erstens: Es entstehen keine Fahrtkosten und lange Reisezeiten. Und zweitens: Es verfügt im Vergleich zum herkömmlichen Coaching über eine höhere Nachhaltigkeit. Es wirkt also länger und intensiver.“ Seit vielen Jahren boomt die Coachingbranche. Immer mehr Manager auf der mittleren und höchsten Ebene suchen in Zeiten gestiegenen Leistungsdrucks den Rat von professionellen Führungskräfte-Trainern. Dabei geht es nicht um das langwierige Kurieren seelischer Probleme, sondern um gewinnbringende Erkenntnisse und auch mal ein paar gute Tipps für das Selbst-Management im Job.

In Konzernen wie Telekom und Unilever gehört regelmäßiges Coaching selbstverständlich zur Personalentwicklung. Doch wenn eine Unternehmensleitung Coaches für ihr Personal einsetzt oder die Führungskräfte zu einem Seminar schickt, entstehen beträchtliche Kosten und hohe Ausfallzeiten. „Das Problem“, sagt Harald Geißler, „ist dabei weniger das Trainerhonorar. Es geht vor allem um die Arbeitsausfallkosten, also um den Schaden, der dem Unternehmen durch die trainingsbedingte Abwesenheit wichtiger Fach- und Führungskräfte entsteht.“

Genau an diesem Punkt setzt die Innovation des Lehrstuhlinhabers für Allgemeine Pädagogik unter besonderer Berücksichtigung der Berufs- und Betriebspädagogik ein. „Wir müssen die betriebliche Weiterbildung flexibilisieren, und zwar zeitlich und räumlich mithilfe der modernen Medien.“ Dann verweist er auf eine bereits vielfach erprobte Methode: Wer fragt, der führt. Dieses Prinzip wurde bereits in der Automobilindustrie für die Entwicklung der Leittextmethode genutzt, die das selbstständige Lernen fördert. An diese Erfahrungen knüpft Geißler an. Seine Coaching-Methode besteht deshalb nur aus Fragen, die beim Klienten wie Hebel wirken.

Zunächst bestand das virtuelle Coaching ausschließlich in der schriftlichen Kommunikation. Neuerdings gibt es auch die Möglichkeit, sich ins „Second Life“ zu begeben. Dort wählt der Klient einen bestimmten Avatar, während andere virtuelle Gestalten die Kollegen und Vorgesetzten symbolisieren. Auf diese Weise können berufsspezifische Probleme bearbeitet werden.

Geißler bildet inzwischen in Unternehmen der Automobil- und Telekommunikationsbranche Coaches aus, die seine Methode der digital basierten Personalentwicklung einsetzen. An der Bundeswehr-Uni leitet Geißler das Competence-Center Coaching. Und wenn er von seinem „Baby“ erzählt, dann beginnen seine Augen zu leuchten. Schließlich ist er begeistert von den Möglichkeiten der modernen Medien für die betriebliche Weiterbildung. Nur am Abend – da schaltet er seinen PC aus und geht mit Hund Oscar spazieren. Willkommen zurück in der realen Welt.