Naturschützer sammeln Proben von Verschmutzungen an Stränden. Analyse verrät Verursacher

74 Stunden lang flogen Überwachungsflugzeuge aus Deutschland, Dänemark, Schweden, Finnland, Estland und den Niederlanden die Hauptschifffahrtsrouten der Nordsee ab. Sie suchten nach Ölverschmutzungen. Nur fünfmal wurden sie fündig, spürten einmal Fischöl, zweimal Palmöl und zweimal geringe Mineralölmengen auf. „Die geringe Anzahl der Verschmutzungen bestätigt die seit Jahren anhaltende Tendenz, dass immer seltener Öl in Nord- und Ostsee eingeleitet wird“, stellte das Havariekommando in Cuxhaven fest. Diesen Trend beobachtet auch Gerhard Dahlmann, Leiter der Ölrückstands-Analytik am Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH). Ein neues Projekt widmet sich jetzt speziell den Ölverschmutzungen an den Nordseestränden.

Im BSH-Labor in Sülldorf bereitet Projektmitarbeiter Nicolas Fitz eingesandte Proben auf: Er extrahiert das Öl aus Federn von tot aufgefundenen Vögeln, aus verunreinigten teerartigen Klumpen und anderen Fundstücken von der deutschen Nordseeküste. „Wir arbeiten mit den Naturschutzorganisationen zusammen, die die Inseln und Küstenabschnitte betreuen“, sagt Fitz, „mit der Schutzstation Wattenmeer, dem Verein Jordsand und dem Mellumrat.“ Weitere Proben liefern die Nationalparkverwaltungen von Niedersachsen und Schleswig-Holstein. Letztere gehört zum Landesbetrieb für Küsten, Nationalpark und Meeresschutz, kurz LKN-SH. Bei ihm ist Fitz angestellt – das BSH stellt das Know-how und ein gut ausgestattetes Untersuchungslabor.

„Bereits in den 1980er-Jahren hatten wir systematisch Ölverschmutzungen an Stränden eingesammelt und hier im Labor analysiert“, erzählt Dahlmann, der seit 40 Jahren Ölverschmutzungen auf der Spur ist. „Damals waren die angestrebten 5000 Proben schnell zusammen, hauptsächlich waren es verölte Seevögel. Die Ölverschmutzungen nahmen damals stark zu, denn immer mehr Schiffe stellten von Kessel auf Dieselmaschinen um. Die vertrugen aber den Treibstoff Schweröl nicht. Er ist ein Rückstand des Raffinerieprozesses und müsste eigentlich entsorgt werden. Stattdessen wird er billig an die Schiffe abgegeben. Für Dieselmaschinen muss das Öl vorgereinigt werden. Dabei fallen etwa drei Prozent Rückstände an.“

Dieser Ölschlamm musste auch damals an Land beseitigt werden. Doch die Übergabe in den Häfen kostete Zeit, und so gingen Reste illegal über Bord. „Weit über 90 Prozent unserer Proben enthielten damals das Schweröl“, sagt Dahlmann. Inzwischen habe die Seeschifffahrtsorganisation IMO (International Maritime Organization) strengere Regeln erlassen und den zulässigen Schwefelgehalt im Schweröl reduziert. Dahlmann: „Mit der jetzigen Untersuchung wollen wir auch erkunden, ob die Reduktion des Schwefels Einfluss auf die Ölverschmutzungen hat.“

Datenbank mit dem chemischen „Fingerabdruck“ von 1600 Ölproben

Das Projekt startete im Frühjahr 2013. Bislang analysierte Fitz 217 Proben. Mehr als die Hälfte waren Paraffinwachse. „Im Hamburger Hafen wird viel Paraffin umgeschlagen“, sagt Dahlmann. „Wenn dort entladen wurde, dürfen die Tanks unter bestimmten Fahrbedingungen auf der Nordsee gewaschen werden. Dies ist erlaubt, da Paraffin, das jeder als Kerzenwachs kennt, nicht giftig ist. Aber die IMO-Vorschrift berücksichtigt nicht, dass dies viele Schiffe an einem Standort machen können.“ Auch die ungiftigen Wachse gehören nicht ins Meer, so Dahlmann.

„Heute können wir jeder Probe ihren genauen Fundort zuordnen“, sagt Nicolas Fitz. „Die gesamte Küste ist in Abschnitte unterteilt, die wir von der Vogelkartierung übernommen haben. Zum Teil werden GPS-Daten mitgeliefert. Die Angaben sind genau genug, um zu wissen, ob die Probe vom Festland stammt oder aus der Gezeitenzone, die nur bei Niedrigwasser freiliegt.“ Noch wichtiger ist die Möglichkeit, die Quelle der Verschmutzungen aufdecken zu können. Dazu gibt es COSIWeb: eine Datenbank mit dem chemischen „Fingerabdruck“ von 1600 Ölproben aus aller Welt. Sie enthält 400 Rohöle, dazu Mineralöle aus Tankerhavarien, von Ölplattformen sowie Schwer-, Diesel- und Motorenölproben aus Strafverfahren. Aufgebaut hat sie Dahlmann seit 1999, in seiner Freizeit. „Ein Tropfen Öl besteht aus 250.000 unterschiedlichen Kohlenwasserstoffverbindungen“, erklärt der Chemiker. „Einige nutzen wir als Bio-Marker. Sie lassen Rückschlüsse auf die biologischen Ausgangssubstanzen zu, aus denen einstmals das Erdöl entstanden ist, deuten etwa auf tierischen oder pflanzlichen Ursprung hin. Aus der Verteilung der Bio-Marker lässt sich auf die Lagerstätte schließen, aus der das Öl gefördert wurde.“

Jedes Mineralöl hat seinen spezifischen „Fingerabdruck“. Im Falle einer Ölverschmutzung wird eine Probe genommen und ihr chemisches Profil mit den in der Datenbank gespeicherten Ölen verglichen. Bei exakter Übereinstimmung ist die Herkunft nachgewiesen. Dahlmann nennt das Beispiel einer Ölverschmutzung in einem Ostsee-Fährhafen: „13 Fähren kamen als Verursacher infrage. Wir haben aus Tanks 45Proben genommen. Die Bilgenwasserprobe von Schiff Nummer 2 war unter 1200 Vergleichsproben jene, die am besten zur Verschmutzung passte.“

Auch größeren Ölresten an den Stränden der Inseln Spiekeroog und Wangerooge im Herbst 2007 kam Dahlmann auf die Spur: „Wir stellen fest, dass es sich um Rohöl einer dänischen Plattform handelte. Aber es fehlten die besonders schweren, langkettigen Kohlenwasserstoffe. Das zeigte, dass das Öl von einem Transportschiff stammen musste. Denn die schweren Substanzen lagern sich an den Tankwänden ab und fehlen in der Probe.“