sich übernehmen“. Springer selbst sagte später einmal von sich: „Ich bin ein Poet und Träumer.“ Gegenüber seinem Freund Felix Jud soll er überdies bekannt haben: „Mensch, ich brauch einen, der auf mich aufpasst, ich hab so viele Ideen, ich mach im Handumdrehen pleite, wenn keiner auf mich aufpasst!“

Der wurde alsbald gefunden: Ein Mann namens Karl Andreas Voss, gestandener Profi sowohl als Journalist wie auch als Verlagskaufmann, ordnete nüchtern und fachkundig die inzwischen vielfältigen Aktivitäten Springers, die 1947 um eine Lizenz zur Herausgabe der Frauenzeitschrift „Constanze“ zusammen mit John Jahr erweitert wurden. „Aber Springer erkannte genau, dass er vorerst nur einen Gemischtwarenladen sein Eigen nannte“, schreibt Schwarz. „Er würde erst über den Berg sein, wenn es gelänge, den Plan einer eigenen Tageszeitung zu verwirklichen.“

Das Konzept dafür stand schon lange, und das geplante Blatt sollte „Excelsior“ heißen. Doch noch ließen die Briten Axel Springer zappeln. Erst im Herbst 1947 mehrten sich die Signale, dass die Militärregierung womöglich doch die Lizenz für eine überparteiliche Zeitung in Hamburg vergeben würde. Die bis dahin bevorzugte parteigebundene Presse erfüllte weder die Leserbedürfnisse noch die journalistischen Maßstäbe der Engländer. Springer formulierte einen Antrag für ein Blatt, in dem der lokale Teil das Zentrum bilde, eine Zeitung, „die in die Familie Eingang findet“, die niveauvolle Allgemeinverständlichkeit garantiere und auf jede Schulmeisterei verzichte. Seine Ideen zielten auf einen in Deutschland völlig neuen Zeitungstyp nach angelsächsischem Vorbild. Nicht die Information sollte im Mittelpunkt stehen, sondern das Bedürfnis des Lesers nach einem harmonischen Zusammenleben. Springer schwor fortan seine Mitarbeiter darauf ein: „Behandelt mir diesen Leser schonend…, fragt euch, was diesem Leser wohltut, was er braucht, um seinen Alltag zu verstehen.“

Bei den Briten stieß der Antrag indes keineswegs auf ungeteilte Begeisterung, eben weil Springer bereits über etliche Lizenzen verfügte. Aber auch gegen seine vier Mitbewerber um eine Lizenz – einer von ihnen war Herbert Wehner – gab es Bedenken. Nun kam Springer das Glück zu Hilfe: Denn während das Lizenzverfahren im Gange war, übertrug die Militärregierung die Auswahl unter den Bewerbern an einen Beratenden Presseausschuss, den der Hamburger Senat ernannte. Und so war es kein Geringerer als der Erste Bürgermeister Max Brauer, der entscheidenden Einfluss nahm. In einem Schreiben an die Briten hob er Axel Springers „persönliche und politische Qualifikation“ hervor, die für das neue Projekt „wünschenswert und notwendig“ seien. Wenig später konnte Brauer seinem Freund verkünden: „Axel, jetzt kannst du deine Zeitung machen.“ Am 12. Juli 1948 hielt Springer die offizielle Lizenz Nr. 1 für das „Hamburger Abendblatt“ in den Händen.

Eilends musste jetzt die nötige Infrastruktur geschaffen werden. In seiner Privatwohnung an der Elbchaussee probierte der Verleger selbst Schrifttypen aus und klebte Musterseiten zusammen, dort konferierten auch die damals rund 20 Redakteure und wurde das Konzept verfeinert. Die Verlagsräume in einem Hinterhaus der Alten Volksfürsorge an der Außenalster wurden ausgebaut, Satztechnik, Schreibmaschinen und Auslieferungsfahrzeuge gemietet. Die Mittel dafür lieferte die hochprofitable „Hör zu“. Für den Bau einer eigenen Druckerei reichte es jedoch nicht. Springer pachtete Druckkapazitäten bei Broschek & Co. an den Großen Bleichen (heute Hotel Renaissance) – gegen den Widerstand der Broschek-Erben, die dadurch ihre Pläne für eine Wiederbelebung des „Hamburger Fremdenblatts“ gefährdet sahen.

Am 13. Oktober sollte es so weit sein, doch Springer war abergläubisch und verschob den Starttermin für sein Abendblatt auf den 14. Oktober, einen Donnerstag. Acht Seiten war die Zeitung dünn: Dem Titelblatt folgten die Meinungsseite, eine Hamburgseite, eine komplette Seite Anzeigen, dann die Sportseite (zur Hälfte mit Anzeigen belegt), eine Seite Unterhaltung/Kunst/Wissen mit Fortsetzungsroman, eine Seite Volkswirtschaft/Weltwirtschaft und schließlich die Bilderseite (heute „Aus aller Welt“) mit neun Foto-Geschichten sowie einem Aufmacher unter dem Titel „Hitler, Himmler und die Sterne“, Auftakt der Tagebuchaufzeichnungen eines Astrologen, der die Nazi-Führung beraten hatte.

Während viel Prominenz aus Politik, Wirtschaft und Kultur (auch Max Brauer und Hans Albers waren dabei) mit Axel Springer ein rauschendes Premierenfest feierte, verspotteten Konkurrenten den Verleger als „Sternengucker“, der in „hoffnungsloser Position“ den Mut gefunden habe, hier in Hamburg eine neue Zeitung zu starten; die aber könne angesichts der gesättigten Zeitungslandschaft „nicht mehr erfolgreich operieren“.

Springer sollte sie Lügen strafen, auch und vor allem, indem er sich anfangs bis ins letzte Detail um die Dinge selbst kümmerte.

Zwar war auch sein erster Chefredakteur Wilhelm Schulze ein gestandener Schreiber und Blattmacher, doch faktisch bestimmte Springer, was wie wo ins Blatt gelangte. Noch vor sieben Uhr in der Früh erschien er im Verlag, fischte in den Konferenzen kleine Zettel mit schonungsloser Kritik und neuen Ideen aus den Taschen seiner Maßanzüge. Peter Tamm, einst Schifffahrtsredakteur, später Springer-Vorstandsvorsitzender, erinnert sich: „Seine Frage war immer wieder: ,Was interessiert die Leser daran wirklich?‘ Und: ,Haben wir das geschrieben?‘“ Für Springer selbst war es „die Zeit meiner eigentlichen Liebe zum Beruf“, wie er später einmal bekannte.

Übrigens: In England brachte eine Frau acht Tage nach ihrem ersten Sohn einen zweiten zur Welt. Eine solche Zeitspanne zwischen Zwillingsgeburten ist äußerst selten. – Die Kraftwagenproduktion in der britisch-amerikanischen Zone wurde im September um 2250 auf 7542 Fahrzeuge gesteigert. – Die US-Fluggesellschaft Pan American World Airways (PAA) hat den ersten Boeing-Stratosphärenkreuzer in Dienst gestellt. Er schafft die Strecke von New York nach London in zwölf statt in 14,5 Stunden.

Auch das erfuhren die Leser des ersten Abendblatts vor 65 Jahren.